Mittwoch, 18. Mai 2016

Jesus jagte die Wechsler aus dem Tempel - Weidel will sie wieder holen: Wider den Geldsystemfetischismus in der AfD


Am Rande des Stuttgarter Programmparteitages unserer AfD wurden Freiexemplare der Wochenzeitschrift "Junge Freiheit" verteilt, und zwar die Ausgabe Nr. 18/16 [2016] vom 29.04.2016. Unter der Überschrift " 'Dieser Parteitag wird spannend!' " (Untertitel: "Alice Weidel leitete die Bundesprogrammkommission der AfD. Nun hofft sie in Stuttgart auf einen neuen Aufbruch für die Partei.")
Unter anderem nimmt Alice Weidel dort kritisch zum Geldsystem Stellung.

Sie ist damit eine von mindestens 3 Personen aus unserer Führungsebene, die Deutschland mit einem neuen Geldsystem beglücken möchten; außer ihr wollen das nämlich noch Beatrix von Storch (vgl. z. B. hier auf Facebook; dort auch ein Kommentar von mir) und Björn Höcke (vgl. da sowie dort im letzten Satz).

Ich habe nicht studiert (also auch keine VWL), mich jedoch sehr intensiv mit dem gegenwärtigen Geldsystem und verschiedenen Änderungsvorschlägen dazu auseinandergesetzt. Bislang habe ich noch keine Alternative gesehen, die auch nur entfernt wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde (und den praktischen Anforderungen sowieso nicht). Mir ist auch noch keine Geldsystemkritik begegnet, bei der der Kritiker das gegenwärtige System und speziell die mikroökonomische Funktionslogik der kreditären Geldschöpfung überhaupt nur verstanden hätte.

Das gilt (obwohl sie Volkswirtschaftslehre studiert hat) auch für Frau Dr. Weidel.
Hier zunächst die einschlägige Passage aus dem JF-Interview:

"Junge Freiheit: Sie sehen kein Auseinanderklaffen des Kurses wie ihn etwa die Landesvorsitzenden in Stuttgart und Mainz einerseits und andererseits etwa die in Potsdam, Erfurt oder Magdeburg repräsentieren?
Weidel: Ich gehe davon aus, daß das Programm die Partei als liberal-konservative Kraft bestätigen wird. Warum ich aber mit der von Ihnen formulierten Gegenüberstellung - bürgerliche Reformpartei einerseits, Fundamentalopposition andererseits - ein Problem habe, ist, weil ich mich selbst zwar als bürgerlich-liberal orientiert betrachte, gleichzeitig aber die Frage des staatlichen Geldmonopols als einen der wichtigsten politökonomischen Kritikpunkte überhaupt erachte. Eine Frage also, die ohne Zweifel "systemkritisch" ist. Darin sehe ich aber absolut keinen Gegensatz.
JF: Kritik des staatlichen Geldmonopols?
Weidel: Ich glaube, daß die Schaffung des Geldes aus dem Nichts, das sogenannte Papier- oder Fiatgeld, auf das der Staat durch die staatliche Zentralbank ein Monopol hat, eine der Hauptquellen für viele unserer Probleme ist. Aus etlichen Gründen wäre es besser, unser Geldwesen privat zu organisieren, die Marktteilnehmer könnten dann zwischen verschiedenen Währungen wählen. So hätten wir echten Wahrungswettbewerb und der Bürger wäre etwa nicht mehr dem Papiergeld ausgeliefert, das nach Belieben entwertet werden kann."

Der letzte Absatz ist 1) falsch, 2) sinnfrei, 3) widersprüchlich und 4) ansonsten undurchdacht.


1) Zunächst einmal hat der Staat (die Zentralbank) überhaupt kein Monopol auf die Geldschöpfung im gegenwärtigen System.
Vielmehr gibt es (ohne das der Nutzer einen Unterschied bemerken würde) ZWEI Geldarten (mit unterschiedlicher "Wertigkeit" für das Finanzsystem, aber gleicher Wertigkeit für den Nutzer):
  • Basisgeld oder Zentralbankgeld. Diese (relativ kleinere Menge) umfasst sowohl Bargeld als auch das von der Zentralbank geschaffene Buchgeld und ist die unbeschränkt verwendbare Geldform.
  • Bankengeld. Die große Masse dessen, was wir als "Geld" verwenden, ist Bankengeld, also von privaten (ggf. auch staatlichen und staatsnahen) "Geschäftsbanken" geschöpftes Geld. Es kommt ausschließlich als Buchgeld vor (auf die Bargeldausgabe hat die Zentralbank bzw., bei Münzen, die Regierung, tatsächlich ein Monopol). Der Nutzer bemerkt keinen Unterschied; nur die Banken können gelegentlich Probleme damit haben. Denn Transfers von einer zur anderen Bank müssen im Prinzip immer mit Zentralbankgeld vorgenommen werden. Die Geschäftsbanken haben dieses Prinzip zwar weitgehend ausgehebelt, und zwar auf zwei Wegen: Indem sie gegenseitige ungefähr gleichzeitige Transfers saldieren (also nur eventuelle Differenzbeträge tatsächlich überweisen), und indem sie sich gegenseitig Kredite gewähren. Trotz allem benötigen sie aber gewisse Menge an Zentralbankgeld; dies gilt insbesondere dann, wenn die Banken untereinander ihrer Bonität nicht trauen und Interbanken-Kredite nicht mehr oder nur noch eingeschränkt vergeben. Jedenfalls: Die große Masse des umlaufenden Geldes ist ohnehin Bankengeld und wurde folglich NICHT vom Staat (bzw. der mehr oder weniger staatlichen Zentralbank) geschöpft!

2) Sodann existiert keinerlei Kausalzusammenhang zwischen der Geldschöpfung aus dem Nichts und der Frage, ob die Geldproduktion in staatlichen oder privaten Händen liegen soll.
Diese beiden Dimensionen sind schlicht inkomparabel.
Der Staat kann Geld ebenso gut aus dem Nichts wie als Warengeld schöpfen. (Warengeld ist die einzige Alternative zur sog. "Geldschöpfung aus dem Nichts".)
Private dagegen können schon rein technisch nur in Ausnahmefällen Warengeld in Verkehr bringen. Dazu braucht man nämlich, wenn das Warengeld beispielsweise aus Gold oder Silber besteht, entsprechende Edelmetallvorräte bzw. Erzminen.
Normale Banken haben die nicht und können folglich Geld nur im Kreditwege, also "aus dem Nichts" schöpfen.

Das ist aber kein Skandal, wie Klein Fritzchen und Lieschen Müller zunächst vermuten werden. Ich zitiere, leicht verändert, aus meinem Kommentar zum Facebook-Posting von Beatrix von Storch:

"Sehr wohl gedeckt ist ..... das Kreditgeld. (Jedenfalls im Prinzip; eine "Ponzi-Finanzierung" - revolvierende Kredite mit ständig höheren Beträgen, aus denen die Zinsen und ggf. noch weitere Ausgaben finanziert werden - kann den Deckungsmechanismus wahrscheinlich aushebeln; das müsste im Detail noch untersucht werden).
Gedeckt ist die kreditäre Geldschöpfung sehr häufig sogar doppelt, nämlich
  • Betriebswirtschaftlich (bankwirtschaftlich) dadurch, dass der Kreditnehmer der Bank Sicherheiten stellt.
  • Volkswirtschaftlich (und das dürfte die wichtigere Deckung sein) kommt es allerdings auf eine andere Deckungsform an, die den Austrians [und anderen Geldsystemphantasten] zwar offensichtlich Hekuba ist, die aber dafür gesorgt hat, dass das Geldsystem in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis Anfang des 3. Jahrtausends insgesamt doch ganz gut funktioniert hat.
Die Gleichsetzung von 'aus dem Nichts geschöpft' mit 'ungedeckt' ist allzu verlockend und scheinbar derart selbstverständlich, dass sich dieser Glaube kaum ausrotten lässt."
 
Wie diese Deckung von kreditgeschöpftem* Fiatgeld auf der volkswirtschaftlichen Mikro-Ebene funktioniert, habe ich wieder und wieder in meinen Blotts zum Thema Geldschöpfung dargelegt, zuletzt unter "Monetäre Meister-Strategen: Die Vollgeld-Feldmarschälle verschieben Makro-Divisionsfähnchen ohne Mikro-Soldaten". (Und kurz vorher unter "Wider die monetären Jahrmarktschreier: Warum die Geldschöpfung aus dem Nichts KEIN Skandal und 'Kreditgeld' (im Prinzip) selbstverständlich gedeckt ist".)
* der Zusatz "kreditgeschöpft" ist wichtig, weil Fiatgeld auch auf anderem Wege geschaffen werden kann: Print & spend sozusagen. Die Zentralbank kann - wie in Deutschland 1914 - 1923 und dann wieder 1939 - 1945 geschehen - Geld einfach drucken und dem Staat zum Ausgeben "schenken" (auch wenn das als Kreditvergabe getarnt sein mag). Genau dieses Schwindelgeld - technisch nennt man das "Willkürgeld" - wollen die Vollgeld-Fanatiker der Menschheit andrehen.
 
 
3) Es ist widersprüchlich, einerseits die Geldschöpfung aus dem Nichts zu kritisieren, und andererseits Währungskonkurrenz zu fordern. Währungskonkurrenz macht überhaupt nur bei einer Geldschöpfung aus dem Nichts Sinn.
Denn bei der (einzigen) Alternative, nämlich dem Warengeld, können (sofern sie nicht betrügen) alle nur dasselbe Geld produzieren. Bei Gold- oder Silbermünzen z. B. würde sich der Kurswert nach dem Edelmetallgehalt richten. Vollständige Information der Marktteilnehmer vorausgesetzt, ergäbe sich eine feste Relation der Münzwerte nach dem Metallgehalt: Die 10g-Goldmünze der Nuggets Bank wäre zehnmal soviel wert wie die 1g-Goldmünze der John Doe Piggy Bank. (Entsprechendes gilt für Papiergeld, das durch hinterlegtes Gold "gedeckt" wäre. Buchgeld freilich wäre - und WAR historisch, also etwa zu "Kaisers Zeiten" - auch in einem solchen System ungedeckt.)
Damit wäre aber jegliche Konkurrenz der Geldschöpfer untereinander sinnlos; vielmehr wäre es sehr viel effizienter, nur EINE (typischer Weise: staatliche) Stelle mit der Geldschöpfung zu betrauen.
 
Ideologisch darf man die Geldsystemphantasien von Frau Dr. Weidel wohl bei einer ökonomischen Denkrichtung verorten, die sich "Österreichische Schule" nennt. Bzw., weil sie heute besonders in den USA populär ist (im Volke; an den Universitäten hat sie wohl auch dort nur wenige Anhänger): "Austrians".
Die Österreichische Schule hatte einstmals respektable Gelehrte vorzuweisen, beispielsweise Eugen Böhm von BawerkLudwig von Mises oder Friedrich August von Hayek. Heute ist das, was sich selbst als "österreichische" Nationalökonomie versteht, nach meinem Eindruck zu einem vulgärökonomischen Diskurs herabgesunken. (Mit 3 "Werken" von - ihrem Selbstverständnis nach - "Austrians" hatte ich mich vor längerer Zeit auseinandergesetzt in dem Blott "Hat Autor nicht auch Grips beineben, kann Leser nicht recht glücklich sein. Eine Polemik gegen Monetär-Obskurantisten, die das Volk im Kerker der Geldirrtümer verschmachten lassen. Und welche 'Gouverneure' vom Monetär-Fetischismus der Austrians profitieren.")
 
Das aber nur am Rande; hier wollte ich auf eine kritische Meinung zu der von Weidel gepriesenen Währungskonkurrenz hinweisen, die ein anderer "Austrian", nämlich der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Murray N. Rothbard, 1962 in seinem Buch "The Case for a 100 Percent Gold Dollar" geäußert hatte.
 
Rothbard fordert eine Goldwährung; eine solche heute einzuführen würde zu einer gigantischen Deflation führen, und zu märchenhaften Gewinnen der Gold- und Goldminenbesitzer. Schon von daher ist auszuschließen, dass die Wirtschaftssubjekte eine Gold- (oder sonstige Edelmetallwährung, auch einen Bi- oder Multimetallismus) tatsächlich akzeptieren würden.
Aber nicht darum geht es mir hier, sondern um Rothbards Begründung, warum er eine totale Währungskonkurrenz ablehnt:
"One problem that every monetary statist and nationalist has failed to face is the geographical boundary of each money. If there should be national fluctuating fiat money, what should be the boundaries of the “nation”? Surely political frontiers have little or no economic meaning. Professor Yeager is courageous enough to recognize this and to push fiat money almost to a reductio by advocating, or at least considering, entirely separate moneys for each region or even locality in a nation.
Yeager has not pushed the reductio far enough, however. Logically, the ultimate in freely fluctuating fiat moneys is a different money issued by each and every individual. We have seen that this could not come about on the free market. But suppose that this came about by momentum from the present system or through some other method. What then? Then we would have a world chaos indeed, with “Rothbards,” “Yeagers,” “Joneses,” and billions of other individual currencies freely fluctuating on the market. I think it would be instructive if some economist devoted himself to an intensive analysis of what such a world would look like. I think it safe to say that the world would be back to an enormously complex and chaotic form of barter and that trade would be reduced to a virtual standstill. For there would no longer be any sort of monetary medium for exchanges. Each separate exchange would require a different “money.” In fact, since money means a general medium of exchanges, it is doubtful if the very concept of money would any longer apply. Certainly the indispensable economic calculation provided by the money and price system would have to cease, since there would no longer be a common unit of account."

Dieses Argument (nämlich, zusammengefasst, die nicht mehr handhabbare Komplexität) gilt natürlich auch gegen die Forderung von Frau Dr. Weidel nach Währungswettbewerb auch innerhalb bisheriger Währungsräume. (Womit nicht eine Rückkehr vom Euro zur DM gemeint ist, sondern die Existenz von - grundsätzlich - beliebig vielen Währungen beispielsweise in Deutschland.)
Wie im Mittelalter und im zersplitterten Deutschland noch in der frühen Neuzeit üblich, bräuchte die Menschheit wieder jede Menge Geldwechsler, denn nicht jeder Verkäufer von Waren und Dienstleistungen würde jede Währung kennen und annehmen.

In der Realität würde sich zweifellos in kürzester Frist ein Monopol, mindestens aber ein Oligopol, von privaten Geldschöpfungsbanken herausbilden. Im Ergebnis hätten wir also genau das, was die Austrians (und die Libertären - diese politische Denkrichtung ist heute eng mit dem Vulgäraustrianismus verbandelt) angeblich gerade NICHT wollen: ein (zwar nicht staatlich garantiertes, wohl aber faktisch zwingendes) Privileg für wenige zum Geldverdienen.
Im Geldwesen bekämen wir eine ähnliche Situation wie wir sie heute bei den PC-Betriebssystemen kennen: Theoretisch könnten sich außer Microsoft beliebig viele andere Anbieter am Markt tummeln. Faktisch tun das nur wenige, denn die Nutzer wollen natürlich eine Gewähr dafür haben, dass ihr Computer mit anderen problemlos zusammenarbeiten kann.
Und dasselbe gilt, mutatis mutandis, für das Geldsystem: Ich will ein Geld, mit dem ich bei Aldi wie bei Lidl bezahlen kann, bei Edeka wie bei Rewe. Und nicht 4 verschiedene Geldsorten mit mir herumschleppen, weil jede Kette nur "ihr" Geld akzeptiert. (Oder, auch nicht besser: Mich darüber ärgern, dass jede Ladenkette unterschiedliche Währungen zu anderen Kursen im Verhältnis zu einem Standard - der dann überhaupt erst normiert werden müsste - umrechnet. Oder dass ich das A-Geld erst beim Geldwechsler in B-Geld eintauschen muss, um überhaupt einkaufen zu können.)


4) Der Wettbewerb, wie wir ihn jetzt unter den zahlreichen Geschäftsbanken haben, wäre in der schönen neuen Geldwelt von Frau Dr. Weidel also nicht etwa intensiviert, sondern weitestgehend eliminiert.
Durchdacht geht anders!
 
----------------------------------
 
Kommen wir nun zu den Geldsystem-Vorstellungen von Björn Höcke, die mindestens ebenso nebulös sein dürften wie diejenigen von Frau Dr. Weidel (und von Frau von Storch ohnehin).
Höcke schrieb am 18.03.2016 unter der Überschrift "Irrungen und Wirrungen" unter anderem:
"Der Begriff „Kapitalismus“ impliziert die dominierende Rolle des Produktionsfaktors „Kapital“.
 Die Geldschöpfung aus dem Nichts durch staatlich kontrollierte Notenbanken stärkt die Herrschaft des Kapitals über die anderen Produktionsfaktoren. Das Scheingeld des Geldsozialismus ist der Treibstoff des Kasinokapitalismus, der marktwirtschaftliche Selbstregulierungsprozesse teilweise außer Kraft setzt. 

Der Wachstums- und Rationalisierungsdruck, der auf der Realwirtschaft lastet, und der auch dazu führt, daß der Mittelstand verschwindet und immer mehr Menschen in Deutschland von ihrer Hände Arbeit nicht mehr leben können, hat seinen Ausgang auch in einem kranken Geldsystem.

Wer in die Diskussion über den Mindestlohn einsteigt, sollte sich darüber im Klaren sein, daß er sich im Bereich des Nachsteuerns bewegt, also Symptompolitik betreibt. 
Das ist mir für die AfD zu wenig. Sie muß den Anspruch haben, die Ursachen für Fehlentwicklungen zu benennen. Der Kasinokapitalismus und der mit ihm korrespondierende Geldsozialismus dürfen nicht das Ende der Weltgeschichte sein. 
Die AfD muß Visionsfähigkeit zeigen. Dazu gehört auch der Mut, den Kapitalismus neu zu denken."
 
Wer das Geldsystem ändern will, um angeblich soziale Gerechtigkeit zu schaffen, produziert Sedativa für die Massen zum Wohle der Reichen.
Der Kapitalismus ist zwar eine außerordentlich elastische Wirtschaftsform.
Er ist insofern auch nicht NUR ein Nullsummenspiel, als die Produktion nicht statisch ist, sondern durch Rationalisierung verbilligt und (letztlich) vermehrt werden kann, ohne dass es Verlierer gibt. Vielmehr können die Rationalisierungsgewinne verteilt werden.
 
Aber umgekehrt ist auch die sog. kapitalistische Wirtschaftsform keine solche, bei der es ohne Verteilungskämpfe abginge: Die Arbeitnehmer wollen mehr Lohn, die Unternehmer höhere Profite - auch wenn die Produktivität nicht oder nur wenig steigt, oder wenn Produktivitätszuwächse schon anderweitig - etwa vom Staat durch Steuern - abgeschöpft werden.
Letztendlich sitzen, in der Summe, die Unternehmer am längeren Hebel: Wenn die keine Gewinne mehr machen, stellen sie einfach die Produktion ein. (Wie jeder vernünftige Mensch das tun würde: Auch Arbeitnehmer schaffen normaler Weise nicht ohne Lohn.)
Wenn die Unternehmer ihr Geld reinvestieren, wollen sie natürlich auch dafür Gewinne sehen. (Und selbst im reinen Finanzwesen scheint es Mechanismen zu geben, die den Geldbesitzern mehr Geld zuschaufeln, ohne dass sie dafür überhaupt eine realwirtschaftliche Leistung erbringen würden.)
Kurz und volkstümlich gesagt: Der Teufel sch't immer auf den größten Haufen. Oder, biblisch formuliert: Wer hat, dem wird gegeben werden.
 
Das ist keine angenehme Situation für einen Politiker, der den weniger wohlhabenden Menschen zu mehr Wohlstand verhelfen möchte. Er müsste dafür den Reichen etwas wegnehmen. Und würde dafür als "Sozialist" beschimpft.
Da ist es doch praktisch für politische Traumtänzer, dass man in den Augen der unwissenden Massen "das Geldsystem" für Unzulänglichkeiten in der Wohlstandsverteilung verantwortlich machen kann: Das zu ändern, tut (vermeintlich) niemandem weh und nimmt (scheinbar) keinem etwas weg.
"Scheingeld des Geldsozialismus" hört sich für Unbedarfte wahnsinnig toll an. Darüber, was konkret damit gemeint sein könnte, hat wohl jeder seine eigenen Vorstellungen. Insbesondere darüber, welche Änderungen er denn implementieren will, um aus dem angeblichen "Scheingeld" ein irgendwie "richtiges" Geld zu machen.
 
Wenn man näher hinschaut, ist schon der Begriff "Scheingeld" ein reines Wieselwort.
Tatsächlich kann ich mit dem derzeitigen Geld reale Güter einkaufen; von daher kann es schon mal KEIN "Scheingeld" (i. S. v. "scheinbarem" Geld) sein.
Den Begriff "Geldsozialismus" scheint der (verstorbene) Buchautor Roland Bader geprägt zu haben ("Geldsozialismus - Die wirklichen Ursachen der neuen globalen Depression"). In dieser insgesamt 3-teiligen Rezension finde ich auf die Schnelle keine Definition davon, worin der Geldsozialismus eigentlich bestehen soll.
Aufklärung gibt (vermute ich) diese kurze Besprechung auf der Webseite der Vontobel-Stiftung:

"Baader zeigt, dass sich die Grösse Geld, im strengen Sinn als Tauschmittel vor dem Hintergrund realer Deckung zu verstehen, insbesondere unter den Ansprüchen und Begehrlichkeiten des Wohlfahrtsstaats zunehmend in ein Medium der Ausgaben- und Schuldenwirtschaft verwandelt und dabei ständig an Wert verliert."

Wie bei den Austrians üblich, geht es also heftig gegen den Sozialstaat. Der sich angeblich durch Gelddrucken finanziert.

Eine solche Kritik ist zwar nicht komplett falsch; nur ist es merkwürdig, wenn Björn Höcke, der ja angeblich die weniger Begüterten wohlhabender machen will, mit einem Begriff operiert, der aus einem eher weniger arbeitnehmerfreundlichen Umfeld stammt.

Aber Logik, ökonomische jedenfalls, ist ohnehin nicht Höckes Stärke. Wenn jemand behauptet, dass "Der Wachstums- und Rationalisierungsdruck, der auf der Realwirtschaft lastet, ..... auch dazu führt, daß ..... immer mehr Menschen in Deutschland von ihrer Hände Arbeit nicht mehr leben können" dann hat er nicht kapiert, dass genau DIESER Aspekt das POSITIVSTE am Kapitalismus überhaupt ist.
Denn ohne Wachstum und ohne Rationalisierung wären wir heute im Durchschnitt noch genauso arm wie die Menschen um 1900. (Und diese Zeit war, wenn wir etwa in die Hinterhöfe der Berliner Mietskasernen schauen, für die große Masse ganz und gar nicht so fröhlich, wie der Begriff "Belle Epoque" uns heutzutage suggeriert.)

Wachstum und Rationalisierung sind das Erfolgsrezept des Kapitalismus; wer behauptet, dass diese ihren "Ausgang auch in einem kranken Geldsystem" hätten, der hat überhaupt nicht begriffen, woher unser (in den meisten Fällen ohnehin bescheidener) Wohlstand kommt.

Und ist gewiss nicht geeignet, uns in eine bessere Zukunft zu führen.
Gott behüte uns davor, dass solche Narren unsere Wirtschaft mit ihren (mutmaßlich dirigistischen) Ökonomievorstellungen und mit monetären Wunderkuren vollends ruinieren.

Ich selber stehe der zunehmenden Kapital(über)akkumulation bei den Besitzenden gewiss kritisch gegenüber.
Aber noch kritischer bin ich gegenüber jenen ökonomischen Jahrmarktschreiern, welche der Menschheit ihre Patentrezepte für eine bessere Welt andrehen wollen.

 -------------------------

Am Schluss noch einmal zurück zu Dr. Alice Weidel.
Keinen Zusammenhang mit deren oben kritisierter Geldsystem-Weltsicht hat die Meldung der BILD-Zeitung vom 18.05.2016 u. d. T. "Brisantes Schreiben.AfD-Vorstandsfrau brüskiert Muslimen-Chef".
Aber um zu verhindern, dass vielleicht andere einen Zusammenhang der Gesprächsablehnung mit meinem obigen Blott konstruieren, halte ich es für zweckmäßig, dass ich auch darauf eingehe.

Die BILD meldet, dass Alice Weidel die Teilnahme an einem Gespräch von AfD-Vorstandsmitgliedern mit Aiman Mazyek, Vorsitzender des sog. "Zentralrats der Muslime" abgelehnt habe. (Mayzek hatte zu einem solchen Treffen eingeladen.)
Weiterhin berichtet die BILD über den Inhalt eines Absageschreiben, das ihr vorliege.

Dabei wird allerdings nicht angegeben, wer der Empfänger dieses Schreibens war. Da fast am Anfang des Artikels gemeldet wird "Gestern sagte die forsche Ökonomin bei Parteichefin Frauke Petry (40) ihre Teilnahme an dem für kommenden Montag geplanten Treffen der AfD-Führung mit Mazyek kurzerhand telefonisch ab" vermute ich, dass sie dieses Schreiben an Frauke Petry oder an den AfD-Vorstand insgesamt gerichtet hat, also nicht an Mayzek.
Vermutlich lassen die AfD-Hasser der BILD diesen Punkt ganz bewusst im Unklaren, um Alice Weidel und indirekt die AfD zu diskreditieren. Denn es macht vom Stil her natürlich schon einen Unterschied, ob Weidel ihre Vorwürfe direkt an Mayzek adressiert oder aber als Rechtfertigung für ihre Absage in einem parteiinternen Schreiben benannt hat. (Spannende Frage wäre dann, wer das Schreiben an die BLÖD lanciert hat.)

Der Bericht selber ist ansonsten relativ sachlich gehalten; bis auf die Passage am Schluss:
"Entscheidend ist jetzt auch, wie Aiman Mazyek auf die wüsten Attacken Weidels reagiert, ob er die Einladung nun überhaupt aufrecht erhält!"
Hier läuft das Zentralorgan der deutschen Pinocchiopresse insofern mal wieder zu seiner langnasigen Höchstform auf, als der Artikel selber nicht einen einzigen der Vorwürfe von Frau Dr. Weidel widerlegt oder auch nur bestreitet.

In der Sache war ich selber tendenziell eigentlich eher FÜR das Gespräch. Andererseits sind die Vorwürfe in der Tat berechtigt und im Gehalt erheblich.
Unabhängig davon, dass ich mir zum Gesamtkomplex noch keine abschließende Meinung gebildet habe, möchte ich hier klarstellen, dass mein Angriff auf Frau Dr. Weidel wegen ihrer wilden Ideen zum Geldsystem in keinster Weise eine Distanzierung von ihrer Gesprächsablehnung mit Aiman Mazyek beinhaltet.
Auch wenn ich mir noch nicht schlüssig bin, welche Strategie - Gespräch oder nicht - für unsere AfD der beste Weg wäre: Persönlich habe ich vollstes Verständnis für das Verhalten von Frau Dr. Weidel und bin in DIESER Sache absolut solidarisch mit ihr.


Nachtrag 08.04.2017

Sozusagen die Fortsetzung zum vorliegenden Eintrag ist mein Blott "Nobelpreis schützt vor Torheit nicht: Warum Friedrich August von Hayeks „Denationalisation of Money“ ein ‚Design for Disaster‘ ist" in meinem Blog "Canabbaia" vom 03.02.2017. Dort weise  ich nach, dass Hayeks Modell für ein Parallelwährungssystem unbrauchbar ist und nicht die behaupteten positiven Effekte generieren kann.



ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand vom 11.09.2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen