Samstag, 9. Mai 2015

Wenn vom Wort die Schatten wirken. AfD, NPD und der Fall Björn Höcke


Am 06.05.2015 brachte die Thüringer Allgemeine (TA) einen knappen Bericht unter der Überschrift "Thüringer AfD-Chef Höcke distanziert sich nicht von der NPD".
Anhand der im Artikel enthaltenen Informationen (wo nur die Einleitung und die ersten beiden ersten - kurzen -  Absätze überhaupt von Höckes Äußerungen handeln) lässt sich diese Überschrift nicht rechtfertigen. Dort erfährt man nämlich lediglich:
"Erfurt. Nach Ansicht der Thüringer AfD-Spitze sind nicht alle NPD-Mitglieder Extremisten. „Ich gehe nicht davon aus, dass man jedes einzelne NPD-Mitglied als extremistisch einstufen kann. Das würde in der Beurteilung etwas zu weit gehen“, sagte der Landespartei- und Fraktionschef Björn Höcke unserer Zeitung.

Allerdings habe die NPD „große Teile in sich, die eindeutig als extremistisch einzustufen sind und die die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht achten“, so Höcke
 
Mit Blick auf ein NPD-Verbot äußerte sich der AfD-Vorsitzende zurückhaltend: „Ein NPD-Verbotsverfahren ist ein sehr scharfes Schwert.“ Nicht ohne Grund habe das Grundgesetz hier hohe Hürden gesetzt. Das Bundesverfassungsgericht, das derzeit einen Verbotsantrag des Bundesrates prüft, solle „sehr sorgsam“ vorgehen, so Höcke."
 
Rein logisch (unabhängig vom konkreten Vorgang), kann man sich durchaus von einer Organisation distanzieren, ohne deswegen alle ihrer Mitglieder zu verdammen.
 
Was mich aber mindestens ebenso irritiert ist der Umstand, dass der Leser nicht erkennen kann, im welchem genauen Rahmen Höckes Aussagen fielen.
Schon früher hatte ich einmal einen ähnlichen Vorgang untersucht, bei dem das Handelsblatt eine Interview-Äußerung von Prof. Bernd Lucke in der Überschrift verfäscht verkürzte.
Gesagt hatte Prof. Lucke damals:
""[HB] Wie sieht es mit Beifall vom rechten Rand aus?
[Lucke:] Wir können niemanden hindern, uns zu wählen, aber grundsätzlich ist es gut, wenn jemand uns wählt und nicht die NPD. Ohne uns gäbe es übrigens auch die Gefahr, dass enttäuschte Wähler, die eigentlich gar nicht rechts sind, aus Protest extremistische Parteien wählen.
[HB] Eine klare Abgrenzung hört sich anders an.
[Lucke:] Wir lehnen jede Form von Extremismus ab. Ehemalige Mitglieder von NPD oder DVU lehnen wir generell als Mitglieder ab. Das gilt auch für Ex-Stasi-Mitarbeiter. Bei Ex-Republikanern prüfen wir jeden Einzelfall im persönlichen Gespräch." 
Das Interview war nur in der Druckausgabe verfügbar. Einem Vorabbericht auf seiner Online-Seite hatte das Handelsblatt mit dem Titel versehen:
Die (sehr subtile) Verfälschung liegt in diesem Falle darin, dass nach üblichem Sprachgebrauch "NPD-Wähler" Menschen sind, die entweder die NPD bereits gewählt haben, oder die eine Nähe zum Gedankengut der NPD aufweisen. Gemeint waren aber, aus dem Zusammenhang eindeutig erkennbar, Protestwähler. Die eigentlich der NPD eher nicht nahe stehen, aber aus Verzweiflung - weil es vor der AfD sonst praktisch keine Partei gab, die der Verschleuderung deutscher Steuereinnahmen für die sog. Euro-Rettung entgegentrat - die NPD gewählt hätten. Und denen nunmehr die Alternative für Deutschland eine bessere Alternative angeboten hat.

Im Gegensatz zur damaligen Handelsblatt-Meldung, bei denen man immerhin den Titelinhalt anhand des vollständigen Interviews hinterfragen und auf seine Berechtigung überprüfen konnte, kennt der Öffentlichkeit aus dem Gespräch von Michael Backfisch (leitender Redakteur der TA) mit Björn Höcke lediglich dessen Antworten, nicht aber die Fragen der TA. Auch die näheren Umstände des Gesprächs sind nicht bekannt: Hat Höcke die TA angerufen (unwahrscheinlich, aber theoretisch auch möglich), oder hat die TA angerufen, und in welchem Zusammenhang? Oder hat man einfach bei einer zufälligen Begegnung im Erfurter Landtag einige Worte gewechselt? Was war der Anlass für das Gespräch?
Das alles wissen wir nicht.

Freilich hat die Geschichte noch einen größeren Rahmen: Die Frage nämlich, ob Björn Höcke Beziehungen zur NPD unterhalten hat.

Bereits in einem Artikel vom 31.10.2014 ("Der Vorsitzende der Thüringer AfD-Fraktion sieht sich auf historischer Mission") hatte die Thüringer Allgemeine über tatsächliche und unstreitige (nachbarschaftliche), aber auch über gerüchteweise behauptete (politische) Kontakte von Björn Höcke mit dem NPD-Mann (lt. Wikipedia Bundesvorstandsmitglied der NPD) Thorsten Heise berichtet.
Aber den tieferen Hintergrund der TA-Meldung muss man wohl eher im Zusammenhang mit einem Eintrag des linksextremen Bloggers Andreas Kemper vom 15.03.2015 (mit späteren Ergänzungen) suchen. Der hatte damals unter der Überschrift "Wieviel NPD höckt in der AfD?" u. a. Äußerungen von Björn Höcke mit Passagen aus Texten verglichen, die unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" in NPD(-nahen) Medien veröffentlicht worden waren. Auch wenn Kemper (wohl aus juristischen Gründen) das nicht ausdrücklich behauptet legt seine Analyse die Vermutung nahe, dass sich hinter dem Pseudonym Landolf Ladig in Wahrheit Björn Höcke verbirgt.
Folgende Indizien trägt Kemper für diese stillschweigende Unterstellung zusammen:
  1. "Postwachstumsökonomie": Kemper vergleicht einen Absatz aus einem Ladig-Aufsatz mit einer Passage aus einer Höcke-Rede. Übereinstimmungen: Beide sind kritisch gegenüber der aktuellen Form des Kapitalismus; beide fordern (allerdings mit unterschiedlichen Begriffen) eine nachhaltige Wirtschaftsform. Das sind nun freilich keine Positionen, die im aktuellen politischen Diskurs sonderlich rar wären. Und sie treten auf der Linken mindestens ebenso sehr (wahrscheinlich sogar weit häufiger) auf, wie auf der Rechten. Eher schon sticht eine gewisse strukturelle Parallelität der beiden Texte ins Auge, die nicht gerade so wirken, als seien sie vom erstbesten Straßenfeger verfasst worden. (Fremdwörter, verhältnismäßig lange Sätze.)
  2. "Schöpferische Polarität von Mann und Frau": Auch hier ergeben sich aus dem Vergleich eines Ladig-Textes mit einer Höcke-Rede inhaltliche Parallelitäten. Und die in beiden Passagen (mit unterschiedlichen Formulierungen) ausgedrückte Überlegung, dass die Polarität von Mann und Frau eine kreative Rolle bei der Weiterentwicklung der Menschheit spielt, ist zweifellos sehr viel seltener anzutreffen (und kaum bei den Linken) als die Kapitalismusschelte und die Sehnsucht nach einer nachhaltigen Wirtschaftsform.
  3. "„Demografischer Wandel“ fordert Änderung der politischen Marschrichtung": Die Sorge um die demographische Entwicklung in Deutschland ist natürlich in sehr viel weiteren Kreisen als nur auf der Rechten verbreitet. Tatsächlich wendet Deutschland ja bereits gigantische Summen auf, um den Renditenachteil der Eltern als "Humankapitalsparer" abzumildern. (Zum Begriff "Humankapitalsparer" vgl. meinen Blott "Liebe AfD-Parteifreunde: Sandkasten-VWL sichert keine Altersrenten!" v. 01.03.2015) Auffälliger ist hier schon die inhaltliche Parallelität der Sätze "... ein Opfer des sogenannten ‘demographischen Wandels’. Die gegenwärtigen Meinungsführer in Politik, Wirtschaft und Medien bedienen sich gerne dieser harmlos klingenden Floskel ..." (Ladig) und "... Die Altparteien sprechen immer beschwichtigend von einem “demographischen Wandel .....". Ziemlich beunruhigend ist allerdings ein Wort, dass ich in dem oben zitierten Satz von Ladig zunächst ausgelassen habe: "Bornhagen ist ein Opfer des sogenannten ‘demographischen Wandels’." Beunruhigend deshalb, weil das thüringische Dorf Bornhagen der Wohnort von Björn Höcke ist. Da muss man den Glauben an den Zufall schon sehr strapazieren, um hier noch an eine Nicht-Identität von Höcke und Ladig zu glauben.   Eben diese Identität von Höckes Wohndorf und sogar Höckes Wohnhaus mit der Beschreibung in einem Artikel von "Landolf Ladig" hatte Kemper bereits in der Einleitung ironisch thematsiert: "An einem warmen Sommerabend saß der Oberstudienrat Höcke an seinem Schreibtisch in seinem vor Jahren gekauften Pfarrhaus und korrigierte Geschichtsarbeiten. ..... Vor dem Haus ..... stand Landolf Ladig, ein intellektueller Wanderer mit einer tiefen wahren Vaterlandsliebe. .....  Ladig jedoch war müde. Im Geiste feilte er noch an einen Artikel, der für die NDP Eichsfeld unter dem Titel „Keine Zukunft für Thüringen“ erscheinen sollte. Nach einigen Artikeln für „Volk in Bewegung“, herausgegeben vom NPDler Heise, hatte sich Ladig so sehr verausgabt, dass er sich fortan in den wohlverdienten Ruhestand begeben würde.  Doch diesen einen Artikel über das schöne Bornhagen und den Kampf für eine aktive Bevölkerungspolitik, dafür, dass fortan mehr als zwei Kinder in deutschen Familien geboren werden, für die Raumorientierte Volkswirtschaft der NPD, musste Ladig noch schreiben. Und so beschrieb er in der NPD-Postille “Eichsfeld-Stimme” eben jenen idyllischen Hang, „mit einer kleinen protestantischen Kirche, einem alten Pfarrhaus und einer alten Schule bebaut.“ In der Tat eine extrem ungewöhnliche Identität von Höckes Haus mit der Beschreibung in Ladigs Aufsatz.
  4. "Behavioristischer Transformationsprozess": Die Passagen aus einem Aufsatz von Landolf Ladig und einem Interview mit Björn Höcke weisen inhaltliche Parallelen auf. Allerdings ist die Aversion gegen Multi-Kulti-Murks keín spezifisches Kennzeichen der AfD: Die teilen viele Menschen. (Darunter auch ich.)
  5. "Organische Marktwirtschaft gegen Globalkapitalismus": Hier belegt Kemper mit zwei Textzitaten seine Schlussfolgerung: "Ladig und Höcke stellen dem zinsbasierten Finanzkapitalismus eine „organische Marktwirtschaft“ gegenüber. Bemüht man Suchmaschinen, um mehr über die Wortschöpfung „organische Marktwirtschaft“ zu finden, so werden ausschließlich zwei Quellen genannt: der NPD-Artikel von Ladig aus dem Jahr 2012 und ein Interview von Björn Höcke von 2014." In der Tat kennt das NPD-Parteiprogramm (hier die wohl aktuelle Fassung aus dem Jahr 2010) nicht den Begriff "organisch"; und nicht einmal die "Marktwirtschaft ist dort erwähnt. Stattdessen wird (S. 9) eine "RAUMORIENTIERTE VOLKSWIRTSCHAFT ALS WIRTSCHAFTSPOLITISCHE ALTERNATIVE" gefordert. [Kritisch über dieses Konzept das Buch "Antikapitalismus von rechts?" (Hendrik Puls), bzw. diese Buchrezension.] Umso beklemmender ist es, die o. a. - exklusive! - begriffliche Übereinstimmung in Texten von Ladig und Höcke konstatieren zu müssen. Auch wenn die Gegnerschaft zur Globalisierung natürlich weit verbreitet, und auf der Linken mindestens so ausgeprägt wie bei den Rechten ist.
  6. "Dritter Weg gegen weltwirtschaftliche Monokulturen": „Enorme Buchgeldschöpfungen, gigantische Kapitalakkumulationen und globale Konzentrationsprozesse führen zwangsläufig zu zyklischen Krisen einer hochgradig vernetzten, monokulturalisierten Weltwirtschaft“ hatte Björn Höcke 2008 in einem Leserbrief an die Junge Freiheit geschrieben. Abgesehen davon, dass ich mir unter einer "monokulturalisierten Weltwirtschaft" nichts vorstellen kann ("Monokultur" ist ein Begriff aus der Landwirtschaft und bedeutet, dass in einer bestimmten Gegend nur ein Produkt angepflanzt bzw. produziert wird), kann ich Höckes Meinung durchaus nachvollziehen. Allerdings taucht just dieser ominöse Begriff "Monokultur" auch im Wirtschaftsteil (S. 9) des NPD-Parteiprogramms auf (meine Hervorhebung): "Die Globalisierung der Wirtschaft beruht auf dem überholten und falschen Ziel der maximalen Ausbeutung der Erde durch Schaffung von wirtschaftlichen Monokulturen."
  7. "Erfurter Resolution gegen „Menschenexperimente' ": In den von Kemper vergleichend zitierten Textpassagen von Ladig und der von Björn Höcke innerhalb der AfD initiierten "Erfurter Resolution" kommt der Ausdruck "Menschenexperimente" nicht vor. Und dass sich beide gegen Multikulturalismus und Gender Mainstreaming richten, ist gar so ungewöhnlich nicht, als dass man diese Passagen als wirklich überzeugende Indizien für eine Identität von Höcke und Ladig werten dürfte. [Hier auf Facebook z. B. ein einschlägiger Text des Noch-Mit-Bundessprechers der AfD, Konrad ADAM.]
  8. Am 20.03.2015 ergänzte Kemper seinen Text um die Beobachtung, dass sowohl der NPD-Mann Thorsten Heise wie auch das Grundsatzprogramm des AfD-KV Nordhausen, Eichsfeld, Mühlhausen (mutmaßlicher Autor: Björn Höcke) die Formulierung "Werte-, Sitten- und Normengefüge" benutzt haben. Auch das ist ein ziemlich gravierendes Indiz für einen über das Nachbarschaftliche hinausgehenden Kontakt zwischen Höcke und Heise, und damit letztlich auch für eine Personenidentität von Höcke und Ladig. Zumal sich diese spezifische Formulierung sonst nirgends findet.
  9. Dazu kommt noch, dass Heise wie Höcke ein recht originelles, aber damit auch eher ungebräuchliches Bild für die Lage Deutschlands verwenden: "Man versucht Deutschland aufzulösen wie ein Stück Schmierseife unter einem heißen Wasserstrahl" (Heise) bzw. "Die Altparteien lösen Deutschland auf, wie ein Stück Seife unter einem Strahl lauwarmen Wassers." (Höcke).
  10. In einem weiteren Nachtrag vom 29.04.2015 fügt Kemper - etwas dunkel - hinzu: "Es ist unklar, worauf das Pseudonym “Landolf Ladig” hinweisen soll. Schaut man sich eine entsprechende Namensliste nordischer Namen an, dann wird klar, dass Landolf “Der Wolf im Lande” heißt, ähnlich wie Landogar “Der Kämpfer für die Heimat”. Solche Namen werden heute sehr selten von Eltern gewählt." Offenbar wollte Kemper damit zum Ausdruck bringen, das Höcke eines seiner Kinder "Landogar" genannt hat, und dass "Landolf" in dieser Liste germanischer Vornamen der nächste ist. Das hat natürlich keinerlei Beweiskraft; auffällig ist es freilich schon.
Andreas Kemper folgert:
"Diese ganzen Übereinstimmungen können kein Zufall sein. Höckes Reden, Statements und Interviews scheinen Collagen von Zitaten und Redewendungen von Neonazis, geschichtsrevisionistischer Neuer Rechten und identitärer Bewegung zu sein. Björn Höcke ist Landesfraktionsvorsitzender der AfD. Er und die AfD haben diese Zusammenhänge zu erklären."
Erstaunlicher Weise fand diese Darstellung zunächst kaum ein Medienecho, blieb aber anscheinend auch innerparteilich (auf der offiziellen Ebene) längere Zeit unbeachtet.


Doch dann, am 25.04.2015, meldeten die Medien (hier: SPON): "Mutmaßlicher Kontakt zur NPD: AfD-Spitze setzt Landeschef Höcke unter Druck" (meine Hervorhebung):
"Der AfD-Bundesvorstand beschloss bereits am 17. April einstimmig, Höcke zu einer eidesstattlichen Erklärung aufzufordern, wie SPIEGEL ONLINE jetzt erfuhr. Höcke solle diese bis zum 30. April unterschreiben, "um glaubhaft den Gerüchten entgegentreten zu können, Sie hätten unter diesem Pseudonym Texte verbreitet", heißt es in dem Schreiben an Höcke, das jetzt an ihn herausging. Die AfD-Führung zeigte sich über die Berichte des Bloggers, über die bereits in der Thüringer Regionalpresse berichtet wurde, beunruhigt. Nach Ansicht von Kemper tauchen einige von Ladigs Wortwendungen in Höckes Reden und Texten auf. Auch werde das Wohnhaus des Fraktionschefs im Eichsfeld in einem der Beiträge genau beschrieben. .....  Nun setzt die AfD-Führung Höcke mit ihrer Forderung nach einer eidesstattlichen Erklärung unter Druck. "Ich habe zu keinem Zeitpunkt unter dem Pseudonym Landolf Ladig Texte geschrieben, an Texten, die unter diesem Pseudonym veröffentlicht wurden, mitgearbeitet und/oder in irgendeiner Form wissentlich verbreitet oder an der Verbreitung mitgewirkt", heißt es in dem Schriftsatz, ..... den Höcke bis zum 30. April unterzeichnen soll."

Höcke weigerte sich, die verlangte eidesstattliche Versicherung abzugeben, und wehrte sich; darüber erfahren wir in demselben SPON-Bericht:
"Höcke selbst sieht sich als Opfer einer Intrige. "Die Annahme, ich würde unter Pseudonym Artikel in NPD-Postillen verfassen, ist völlig absurd", erklärte er am Freitag schriftlich auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Er werde gegen jeden, der das behaupte, juristische Schritte einleiten. Die Verdachtsmomente des Bloggers seien völlig haltlos, so Höcke. Zugleich ging Höcke mit der AfD-Bundesspitze und ihrem Versuch, ihn zu einer eidesstattlichen Erklärung aufzufordern, scharf in Gericht. "Dass so etwas überhaupt zum Thema gemacht werden kann, empfinde ich als mehr als befremdlich. In seinem Vorgehen bedient sich der AfD-Bundesvorstand der Stigmatisierungsstrategien des politischen Gegners ...".

In der TA erfuhr man am 24.04.2015 unter dem Titel "Neuer Eklat in der AfD: Lucke greift Thüringer Landeschef an":
Ich habe niemals Artikel in NPD-Postillen verfasst, auch nicht unter einem Pseudonym“, erklärte Björn Höcke gegenüber der Thüringer Allgemeine. Eine vom Bundesvorstand geforderte eidesstattliche Versicherung werde er dennoch nicht unterschreiben. „Ich finde dieses Vorgehen unerträglich. Ich entscheide selbst, wann und in welcher Form ich gegen diesen Blogger juristisch vorgehe“, sagte Höcke. Ein Blogger hatte im Internet mehrfach behauptet, Höcke habe unter dem Tarnnamen Landolf Ladig Texte in NPD-Publikationen veröffentlicht. Zu dem Schreiben des Bundesvorstandes erklärte der Thüringer AfD-Vorsitzende: „Dieser Brief trägt zur Spaltung bei. Ich weiß nur nicht, ob Herr Lucke das willentlich macht. Ich weiß nicht, warum er spalten will.“
Hier kündigte Höcke zugleich eine mögliche Kandidatur für den Bundesvorstand der Alternative für Deutschland an:
"Seit Freitag schließt Höcke nicht mehr aus, auf bundespolitischer Ebene stärker mitwirken zu wollen. Bisher habe er „kein Interesse am Bundesvorstand“ gehabt. „Aber mittlerweile sind wir an einem Punkt angekommen, an dem ich eher sagen würde: Sag niemals nie.“

In einer Meldung vom 29.04.2015 ("Mutmaßlicher Kontakt zur NPD: AfD-Landeschef Höcke lehnt eidesstattliche Erklärung ab") berichtete SPON, dass der NPD-Mann Thorsten Heise eine Identität von Björn Höcke mit Landolf Ladig bestritten habe:
"Thorsten Heise, Herausgeber eines der NPD-Blätter, für die Höcke angeblich geschrieben haben soll, sagte am Mittwoch zu SPIEGEL ONLINE: "Nein, Herr Höcke hat keine Sachen bei mir abgeliefert. Wenn er das möchte, kann er seine Artikel gern abgeben." Bei dem Pseudonym Landolf Ladig handele es sich um "eine nettere, ältere Person". "Der Herr Ladig hat Grund, unter Pseudonym zu schreiben, und macht das auch weiterhin - auch unter anderen Namen, der hat nicht nur ein Pseudonym", sagte der Vize-Chef der Thüringer NPD.
Über Höcke sagte Heise, er habe sich mit diesem einmal am Rande eines Festes im Kindergarten oder der Schule unterhalten, "wir haben ja beide Kinder". Aber: "Wir haben keinen regelmäßigen Kontakt", betonte Heise. Der Vize der NPD in Thüringen wohnt nur wenige Kilometer von Höckes Wohnsitz im Eichsfeld entfernt. 'Der Mann hätte sich vielleicht einen anderen Wohnsitz suchen sollen", sagte nun Heise'."

Weiterhin veröffentlichte Björn Höcke am 29.04.2015 einen Offenen Brief (hier auf der Webseite der AfD Thüringen; auch erschienen z. B. auf der "Flügel"-Seite (pro Erfurter-Resolution) aus dem auch der SPON-Artikel zitiert.
Darin begründet Höcke seine Weigerung, eine (juristisch wohl folgenlose, bzw. allenfalls im Zusammenhang mit einer theoretischen Unterlassungsklage gegen Kemper bedeutsame) Eidesstattliche Versicherung abzugeben, wie folgt:
"Unterschriebe ich diese, würde eine Büchse der Pandora geöffnet werden. Als nächstes würde wahrscheinlich Bernd Lucke eine eidesstattliche Erklärung zugestellt bekommen, mit der er nachdrücklich aufgefordert werden würde, zu versichern, dass er nicht den Auftrag hat, die AfD in eine CDU oder FDP 2.0 zu transformieren. Dasselbe würde wahrscheinlich Hans-Olaf Henkel passieren – was für eine absurde Vorstellung!"
Jeder, der ohne vorgefertigte Meinung an diese "Begründung" herangeht, dürfte sie als eine Beleidigung seines Intellekts empfinden. Denn diese Unterstellungen liegen auf völlig unterschiedlichen Ebenen:
  • Die Insinuation, dass Höcke Artikel geschrieben haben könnte, die (unter dem Pseudonym Landolf Ladig) auf NPD-(nahen)Seiten veröffentlicht wurden, wäre bei entsprechender Umformulierung eine Faktenbehauptung. Deren Wahrheitsgehalt im Prinzip unschwer feststellbar wäre - wenn man nur die einschlägigen Informationen hätte. Auf jeden Fall liegen gravierende Indizien dafür auf dem Tisch, dass Höcke tatsächlich Ladig ist.
  • Der von Höcke unterschwellig gegen die Professoren Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel erhobene Vorwurf, im Auftrag finsterer Mächte die AfD in eine CDU oder FDP 2.0 zu transformieren zu wollen oder zu sollen, ist dagegen eine aus der Luft gegriffene politische Kampfbehauptung, die in keinster Weise mit entsprechenden Indizien unterlegt ist. Vor allem ist sie schon keine irgendwie präzise Faktenbehauptung. Denn während ein veröffentlichter Artikel ein klar abgrenzbares Faktum ist, kann in die Begriffe "CDU/FDP 2.0" ein jeder hineininterpretieren, was er selber darunter verstehen will. 
Im gleichen Stil schreibt Höcke im Fortgang seines Offenen Briefes noch einmal:
"Soll jetzt jeder AfD-Funktionär absurde Behauptungen eines linksextremen Soziologen, der in einem Verlag publiziert, dem der Verfassungsschutzbericht NRW attestiert hat, er verbreite linksextremistische Schriften, mit eidesstattlichen Erklärungen begegnen?"
Der intellektuelle Taschenspielertrick Höckes liegt hier darin, dass er Kempers implizite Anschuldigungen als "absurde Behauptungen" hinstellt. Damit drückt er sich auch um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Behauptungen, und vor allem mit den dafür von Kemper präsentierten massiven Indizien herum.
(Kemper selber spricht in einem Blott vom 02.05.2015 von "Überzufälligkeiten": "Wir haben es hier mit mehrfachen semantischen Überschneidungen und linguistischen Überzufälligkeiten zu tun. Der Zufall würde sich bedanken, wenn man ihm mit der These “Da haben sich halt zwei Menschen im Eichsfeld unabhängig voneinander die selben Wortneuschöpfungen ausgedacht und zwar gleich mehrfach” die Verantwortung in die Schuhe schieben wollte. Zumal die erklärungsrelevanten Fälle sich nicht nur auf die Textproduktion allein beziehen. Der gebeutelte Zufall soll auch noch dafür herhalten, dass Björn Höcke mehrfach den Herausgeber der Texte von “Landolf Ladig”, Thorsten Heise, getroffen hat, dass ausgerechnet Höckes Wohnhaus in den Texten von “Ladig” beschrieben wird und dass Björn Höcke alt-hochdeutsche germanische Vornamen wie “Landolf” schätzt.")

Auch Höckes ad hominem-Attacke gegen Kemper (die ich zwar inhaltlich für zutreffend halte) kann ich hier nur als ein Ausweichen vor den unangenehmen Fakten (Indizien) interpretieren:
"Dieser Blogger verdient sein Geld damit, im Auftrag der politischen Stiftungen von Linken, SPD und Grünen deutschlandweit Vorträge über die angebliche Gefährlichkeit der AfD zu halten und publiziert ebenfalls auf Steuerzahlerkosten pseudo-wissenschaftliche Schriften dazu. Er greift nicht nur mich in seinen Publikationen und Vorträgen an, sondern die gesamte AfD – auch Herrn Lucke und Herrn Henkel."

Wie auch immer man Höckes nicht überzeugende Verteidigungsstrategie beurteilt, dürfte sich allerdings mit der o. a. Erklärung von Heise die Aufforderung des BuVo an Höcke, seine Nicht-Identität mit Landolf Ladig eidesstattlich zu versichern, erledigt haben.

Aber natürlich schwelt ein solcher Verdacht unterirdisch weiter, und mit dem für meine vorliegende Untersuchung anstoßgebenden und zentralen TA-Artikel vom 6.5. loderte die Flamme wieder hell auf.
Am 07.05.2015 berichtete die TA über die Reaktion des AfD-Bundesvorstands: "Thüringer AfD-Chef Höcke unter Beschuss: Bundesspitze rügt Aussagen zur NPD":
"Alexander Gauland, AfD-Vorsitzender in Brandenburg sowie Vize-Sprecher der Bundespartei, sagte der TA: „Die NPD ist in ihrer Gesamtheit eine extremistische Partei und kein Gesprächspartner der AfD.“ Frauke Petry, AfD-Chefin in Sachsen und eine der drei Sprecher der Bundespartei, erklärte: „Höcke hat mit seinen Äußerungen Grenzen überschritten.“
Marcus Pretzell, AfD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen und Europaabgeordneter, betonte: „Die Aussagen offenbaren Höckes fehlendes politisches Urteilsvermögen.“ Aus guten Gründen würden Ex-Mitglieder der NPD nicht in die AfD aufgenommen. Die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch unterstrich: „Den Extremismus auch für einzelne Mitglieder der NPD infrage zu stellen, hat in der AfD keinen Platz.“

Höckes Antwort erschien am 07.05.2015 auf der Webseite der thüringischen AfD-Landtagsfraktion; ich gebe sie hier vollständig wieder:
"Die beiden Artikel, die diese Woche in der Thüringer Allgemeine erschienen sind, erwecken den falschen Eindruck, ich würde mich nicht von der NPD abgrenzen. Dieser Eindruck entspricht allerdings nicht den Tatsachen.
Die AfD-Fraktion, der Thüringer Landesverband und ich selbst haben uns seit Gründung der AfD immer klar und deutlich von der NPD und anderen extremistischen Organisationen abgegrenzt. Weder der Thüringer Landesverband noch die Alternative für Deutschland im Ganzen kooperieren mit der NPD. Die NPD spielt bei der politischen Positionierung der AfD schlicht keine Rolle, da unsere Partei bürgerlich ausgerichtet ist. Die AfD ist eine Partei, die keine ehemaligen NPD-Mitglieder aufnimmt – im Gegensatz z.B. zur CDU, die unter bestimmten Umständen keine Schwierigkeiten darin sieht, ehemalige NPD-Mitglieder aufzunehmen. Aus diesem Grunde sind rechtsextreme Positionen, wie sie die NPD vertritt, weder beim AfD-Landesverband, der Fraktion oder mir zu finden, auch wenn der Versuch einer Konstruktion entsprechender Vorwürfe aus den Bereichen der linksextremistischen Gegnerschaft der AfD gelegentlich mit haarsträubenden Argumentationen unternommen wird.
Andererseits weigere ich mich aber auch, Menschen von vornherein aufzugeben, auszugrenzen und sozial zu ächten, weil sie in der falschen Partei sind oder waren. Auch Anhänger extremistischer Strömungen haben einen Anspruch auf politische Resozialisierung. Dies gilt im Übrigen für Mitglieder linksextremistischer Organisationen, wie der Roten Hilfe, gleichermaßen wie für Anhänger rechtsextremistischer Organisationen, wie der NPD. Die NPD vertritt unzweifelhaft politische Überzeugungen, die der AfD völlig fremd sind. Auch wenn mir die internen Verhältnisse der NPD unbekannt sind, ist es nach meiner Überzeugung wahrscheinlich, dass es dort auch Menschen gibt, die man wieder für unsere Demokratie gewinnen kann, weil sie eben nicht überzeugte Rassisten oder Fremdenhasser sind, sondern aufgrund politischer Naivität bzw. zum Beispiel jugendlicher Unerfahrenheit in diese Partei gelangt sind. Ich halte es zudem schlicht für falsch, sämtliche Mitglieder dieser Partei über einen Kamm scheren und ihnen nicht zuzugestehen, dass auch sie in der Lage sind, einmal gewonnene falsche Überzeugungen zu überdenken und einen politischen Lernprozess erfolgreich zu absolvieren.
Ich lehne jede Form von Rechts- oder Linksextremismus entschieden ab. Politischer Extremismus muss im politischen Diskurs hart bekämpft werden. Nulltoleranz muss gegenüber Gewalt in der politischen Auseinandersetzung bestehen. Ich verstehe aber die Bedenken gegen das neuerliche NPD-Verbotsverfahren. Rechtliche Verbote führen nicht zwangsläufig zum Umdenken. Die Erfahrung zeigt, dass häufig sogar das Gegenteil der Fall ist. So besteht die Gefahr, dass eine ohnehin im Ansehen der Bevölkerung so schwer angeschlagene politische Organisation durch eine neue Organisation abgelöst wird, die inhaltlich dasselbe vertritt. Das will ich nicht. Mit diesen Bedenken gegen ein NPD-Verbotsverfahren stehe ich nicht alleine da: Auch namhafte Vertreter von CDU, SPD, Grünen und Linken sehen das Verbotsverfahren aus diesen Gründen kritisch, ebenso unser Parteisprecher Bernd Lucke."

Diese aber erregte erst Recht den Zorn von Prof. Lucke. Die TA vom 08.05.2015 informiert unter "Eklat in der AfD: Lucke fordert Thüringer Landeschef Höcke zu Rücktritt und Parteiaustritt auf":
"„Ich fordere Höcke auf, umgehend alle Ämter niederzulegen und aus der AfD auszutreten“, sagte Lucke der „Thüringer Allgemeinen“ (Samstagausgabe). „Seine Äußerungen zur NPD offenbaren Uneinsichtigkeit und einen erschreckenden Mangel an politischem Urteilsvermögen“, sagte Lucke."
[Dass nicht der ursprüngliche Artikel v. 6.5. Luckes Reaktion auslöste, sondern eben Höckes Antwort, wird in einem weiteren Bericht der TA vom 09.05.2015 ("AfD-Chef Lucke fordert Thüringer Landeschef zu Parteiaustritt auf"), ausdrücklich bestätigt: "Höckes Mitteilung vom Donnerstag ..... war Anlass für die Rücktrittsforderungen Luckes".]
So weit wollten Alexander Gauland und Frauke Petry dann freilich doch nicht gehen. Über deren Positionen informiert Günther Lachmann in seinem WELT-Bericht "Lucke will AfD-Landeschef wegen NPD-Nähe loswerden" vom 08.05.2015:
"Rückendeckung erhielt Höcke indes von AfD-Sprecherin Frauke Petry und AfD-Vize Alexander Gauland. Beide wiesen Luckes Ansinnen strikt zurück. "Ein Ausschlussverfahren gegen Herrn Höcke kommt überhaupt nicht in Frage, dann könnte die Partei mich ja auch gleich ausschließen", sagte Gauland der "Welt". "Frau Petry hat mir versichert, dass auch sie das nicht mitmachen wird."

Allerdings erfahren wir in der TA (am 09.05.), dass die extreme Verärgerung keineswegs eine Privatangelegenheit von Prof. Bernd Lucke war (und mithin auch nicht mit Rivalitätskämpfen abgetan werden kann):
"Aus der Parteispitze in Berlin hieß es, dass Luckes Vorstoß mehrheitlich die Meinung des Bundesvorstandes widerspiegele. Auch in den AfD-Landesverbänden gebe es große Rückendeckung. Aus der Partei wurden zudem Stimmen nach einem Parteiausschlussverfahren laut, sollte sich Höcke nicht klarer als bisher von der rechtsextremen NPD distanzieren."

Interessant im Zusammenhang mit dem 'Ursprungsartikel' der TA vom 06.05. ist eine Information, die eine Person C. K. in einer Facebook-Gruppe mitteilt:
"Höcke hat gestern Abend [bei seinem Vortragin Nürnberg erläutert, wie es zu dem falschen (!!) Zitat gekommen sei. Er hätte auf die Frage 'Distanzieren Sie sich von der NPD' geantwortet, dass er die ganze Distanziererei satt hätte. Dass ansonsten die NPD für ihn kein Thema sei, weil sie - losgelöst von den Inhalten - eine marginale Partei sei, die von Verfassungsschutzleuten durchsetzt sei. Das sei für ihn kein Thema."
Aber, wie gesagt, bei dem massiven Angriff von Prof. Bernd Lucke auf Björn Höcke ging es nicht um den problematischen Ausgangsartikel, sondern um Höckes oben wiedergegebene Stellungnahme dazu.


Und damit nähern wir uns endlich auch unserem Blogtitel "Wenn von Wort die Schatten wirken ...", dessen Sinn für meine Leser bislang zwangsläufig dunkel bleiben musste.
Wir kommen nämlich jetzt vom Bereich der Fakten in den Bereich der Bewertung: War Höckes Reaktion wirklich so schlimm? Bzw. wo genau liegt die Problematik in seiner oben wiedergegebenen Stellungnahme, die zunächst einmal (für mich zumindest) nicht sonderlich auffällig wirkt?
  •  "Die AfD-Fraktion, der Thüringer Landesverband und ich selbst haben uns seit Gründung der AfD immer klar und deutlich von der NPD und anderen extremistischen Organisationen abgegrenzt. Weder der Thüringer Landesverband noch die Alternative für Deutschland im Ganzen kooperieren mit der NPD." An dieser Klarstellung kann wirklich niemand etwas aussetzen.
  • "Andererseits weigere ich mich aber auch, Menschen von vornherein aufzugeben, auszugrenzen und sozial zu ächten, weil sie in der falschen Partei sind oder waren. Auch Anhänger extremistischer Strömungen haben einen Anspruch auf politische Resozialisierung. Dies gilt im Übrigen für Mitglieder linksextremistischer Organisationen, wie der Roten Hilfe, gleichermaßen wie für Anhänger rechtsextremistischer Organisationen, wie der NPD. Die NPD vertritt unzweifelhaft politische Überzeugungen, die der AfD völlig fremd sind. Auch wenn mir die internen Verhältnisse der NPD unbekannt sind, ist es nach meiner Überzeugung wahrscheinlich, dass es dort auch Menschen gibt, die man wieder für unsere Demokratie gewinnen kann, weil sie eben nicht überzeugte Rassisten oder Fremdenhasser sind, sondern aufgrund politischer Naivität bzw. zum Beispiel jugendlicher Unerfahrenheit in diese Partei gelangt sind. Ich halte es zudem schlicht für falsch, sämtliche Mitglieder dieser Partei über einen Kamm scheren und ihnen nicht zuzugestehen, dass auch sie in der Lage sind, einmal gewonnene falsche Überzeugungen zu überdenken und einen politischen Lernprozess erfolgreich zu absolvieren." Ich persönlich kann mich auch mit diesen Ausführungen durchaus identifizieren - wenn man sie so liest, wie sie geschrieben stehen (und zweifellos auch gemeint sind). Das Problem ist freilich, dass der Polit-Konsument selten derart differenziert denkt. Da kommt als "Schatten" dieser Worte u. U. lediglich die Information rüber: "Höcke hält NPD für gar nicht so schlimm". Das entspricht nicht dem, was Höcke geschrieben hat; aber das hilft der AfD nicht, wenn sie wegen solcher Missverständnis in Radikalitätsverdacht gerät und Wähler verliert. Ein führender Parteifunktionär kann sich eben nicht derart unbefangen äußern, wie Lieschen Müller oder Burkhardt Brinkmann. Politik ist großenteils ein Spiel "über Bande" (wie beim Billard), und bei Spitzenleuten unterstellt die Öffentlichkeit (zu Recht oder nicht) automatisch, dass sie mit ihren Äußerungen politische Zielsetzungen verfolgen. In diesem Sinne haben wohl auch Lucke und die Landesvorsitzenden der AfD Höckes Statement gelesen und befürchtet, dass hier jedenfalls in der Außenwirkung von Höckes Worten die AfD verharmlost werden könnte. Und in dieser Dimension war die Kritik an Höcke vielleicht sehr massiv; aber letztlich aus Sicht der AfD-Parteiinteressen schon verständlich. Nicht zuletzt eben auch vor dem Hintergrund der Verdächtigungen gegen Höcke, früher mit der NPD kooperiert zu haben.
  • Höckes Bedenken gegen ein NPD-Verbot teile ich allerdings. Ich würde sogar darüber hinausgehen und meine, dass ein solches Verbot den wohlverstandenen Interessen der AfD Schaden zufügen würde. Denn wenn der Platz der Rechtsextremisten im zugelassenen Parteienspektrum nicht mehr besetzt ist, werden die antifaschistischen Staatsknetenabgreifer (für den "Kampf gegen Rechts" sind bekanntlich allein auf Bundesebene Haushaltsmittel in zweistelliger Millionenhöhe eingestellt!), schon um ihre fortdauernde Existenzberechtigung zu "beweisen", unsere AfD als rechtsextremistisch brandmarken. (Während wir bislang ja meist "nur" als "Rechtspopulisten" verunglimpft werden.)

Was aber folgt nun für mich aus den hier präsentierten ellenlangen Informationen und Meinungsäußerungen?
Ganz einfach: Die knappe und knackige Forderung an Björn Höcke, sich vom Griff nach dem Bundesvorstand fernzuhalten (egal, auf welcher Ebene).
Egal, wie man Höcke OBJEKTIV beurteilt: Für unsere Außenwirkung wäre es gegenwärtig extrem problematisch, wenn er bei unsere Bundesparteitag am 13./14.06.2015 in Kassel in den Bundesvorstand gewählt werden würde.
Ich wünsche ihm, dass er das aus eigener Einsicht so sieht, und sich bereits einer Kandidatur enthält.
Tut er das nicht, dann befürchte ich, dass mit einer solchen Personalie im Bundesvorstand unsere AfD nicht nur Wähler, sondern auch zahlreiche Mitglieder verlieren würde. Was wir uns angesichts unserer ohnehin knappen Mitgliederzahl von gut 20.000 nun wirklich nicht leisten können.


Nachträge 29.05.2015

Der MDR berichtet heute "E-Mail aufgetaucht: Neuer Beleg für NPD-Nähe von AfD-Landeschef Höcke":
"Thüringens AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke hat bereits vor einem Jahr NPD-nahe Positionen vertreten. Das geht aus einer internen Mail aus dem Mai 2014 hervor, die MDR THÜRINGEN vorliegt. Darin stellt Höcke die Strafrechts-Paragraphen 86 und 130 in Frage. Darin geht es um das Verbot, Symbole verfassungswidriger Organisationen zu zeigen, wie etwa das Hakenkreuz, die SS-Runen und den Hitlergruß, und um die Strafbarkeit von Volksverhetzung. Die NPD hatte wiederholt die Abschaffung des Volksverhetzungsparagrafen gefordert. Höcke schrieb in der Mail unter anderem von "politischer Strafjustiz", die eines demokratischen Rechtsstaates nicht würdig sei. Die Strafrechts-Paragraphen 86 und 130 seien "mehr als umstritten", er – Höcke – sehe die Rückeroberung der Meinungsfreiheit als das zentrale Motiv seiner politischen Betätigung an. Höcke wörtlich: "Wir brauchen keine Begriffstabuisierung, keine Antidiskriminierungsgesetze und keine politische Strafjustiz. Hinfort damit – und zwar schnell."
Und zitiert aus Höckes Email (die dort als Foto auch vollständig abgebildet ist):
"Die politische Strafjustiz in diesem Land ist eines demokratischen Rechtsstaats nicht würdig. Es kann nicht sein, dass man für ein Meinungsdelikt 10 Jahre eingesperrt wird und für Totschlag 2 Jahre auf Bewährung erhält. Die §§ 86 und 130 und ihre Strafbewehrung sind mehr als umstritten. [...] Die Rückeroberung der Meinungsfreiheit ist das zentrale Motiv meiner politischen Betätigung. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist der Hebel der sanften Diktatur des 21. Jahrhunderts. Wir brauchen keine Begriffstabuisierung, keine Antidiskriminierungsgesetze und keine politische Strafjustiz. Hinfort damit - und zwar schnell." (Björn Höcke, Landessprecher AfD Thüringen. E-Mail vom 18. Mai 2014)
Über Höckes Reaktion erfahren wir:

"Höcke erklärte jetzt dazu, er habe diese Mail nicht bei sich finden können. Wohl habe er aber mit AfD-Freunden darüber debattiert, ob das "Recht auf Meinungsäußerung durch das Strafrecht zu sehr eingeschränkt" werde. Weiter erklärte er, er sei nach wie vor der Ansicht, dass sich "ethisch unvertretbare Meinungen nicht durch Strafnormen vermeiden" ließen." Überdies teilte Höcke mit, für ihn seien Neonazis keine Patrioten, da sie einem Verbrechensregime nachtrauerten."

 
Auch der Deutschlandfunk schrieb zum Thema. Titel: "AfD in Thüringen. Höcke und die Grenzen der Meinungsfreiheit". Dort wird u. a. auch die inhaltliche Bedeutung von Höckes Forderung näher erläutert:
"Im Umfeld der Thüringer AfD-Fraktion tauchte diese Woche eine Mail auf, die der heutige Partei-und Fraktionsvorsitzende, Björn Höcke, vor einem Jahr an einen Parteifreund geschrieben haben soll. In dieser Mail fordert Höcke im Namen der Meinungsfreiheit äußerst vehement die Abschaffung der Paragrafen 86 und 130 des Strafgesetzbuches. Volksverhetzung, der Aufruf zur Gewalt, die Verbreitung von Propagandamitteln verbotener Parteien, aber auch das Leugnen der Verbrechen des Nationalsozialismus wären dann straffrei."
Dort liest man über Höckes Reaktion:
" 'Also, wir haben in der Partei sicher über die Grenzen von Meinungsfreiheit diskutiert. Und ich kann nicht ausschließen, dass wir mal diese Diskussion um diese von ihnen gerade genannten Paragrafen geführt haben. Aber die Diskussion kam dann auch relativ schnell zu einem Ende.' Weiter sagt Höcke, dass er die Paragrafen inzwischen auch respektiere und dass Deutschland mit seiner Vergangenheit eine besondere Verantwortung habe, für die auch er und die AfD einstünden. Völkisches Denken weist er empört von sich ......".
Am Rande (Schluss) steht noch etwas über ein geplantes Treffen der innerparteilichen AfD-Gruppierung "DerFluegel" (das sind die Unterzeichner von Höckes Erfurter Resolution; mehr zu dieser hier):
"..... wollen sich die Unterzeichner der rechtskonservativen "Erfurter Resolution" auf dem Kyffhäuser treffen [am 06.06.2015]. Zum "Kennenlernen bei gutem Essen". Dass dies eine Woche vor dem entscheidenden Parteitag der AfD [Vorstands-Neuwahl auf BPT in Kassel 13./14.06.2015] geschieht - "reiner Zufall" sagt Björn Höcke sehr ernst."
Zufälle gibt's - die gibt's gar nicht! ;-)
Ich hoffe nur, dass Björn Höcke genügend Verstand hat, sich nicht für einen Sitz im Bundesvorstand zu bewerben.
Oder hilfsweise, dass die Delegierten genügend Verstand haben, ihn nicht zu wählen.

Erg. 01.06.2015: Stefan Möller, Rechtsanwalt und Thüringer AfD-MdL, hat heute auf seinem Blog unter der Überschrift "Eine Anti-AfD-Kampagne und ihre Akteure" eine sehr detaillierte Art Gegendarstellung zum Artikel im Deutschlandfunk publiziert.


Nachtrag 08.07.2016
Unter dem Titel "Die sich aufpotenzierende Krisendynamik für Björn Höcke" hat Andreas Kemper am 17.04.2016 seine alten Ergebnisse übersichtlich zusammengefasst sowie um eine weitere begriffliche Übereinstimmung Höckes mit "Landolf Ladig" ergänzt.



ceterum censeo

Blockis* bluten brave Bürger!
Deshalb Deutschland in Europa:
Weder Zuchtmeister, noch Zahlmeister!

* Die eurofetischistischen "Blockparteien" CDUCSUFDPGRÜNESPD
Textstand vom 31.07.2017

2 Kommentare:

  1. Danke für die Mühe, das alles fein säuberlich aufzuklabüsern. Das war für mich sehr aufschlußreich.

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  2. Sehr übersichtlich und wichtiger Beitrag.
    Die AfD ist eine junge Partei,man wird sehen welchen Weg sie einschlägt und welche Kräfte sich durchsetzen-die Brücke zu den Identitären und Rechtsintellektuellen kann niemand bestreiten und auch das sich immer mehr Rechtsextremisten von Reden a la Höcke angezogen fühlen, während Petry und Meuthen zwar konservativ sind,aber ein völlig anderes Klientel ansprechen.

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