Dienstag, 5. Januar 2016

Zum Gutachten von Prof. Werner J. Patzelt über die Schnellrodaer Rede von Björn Höcke (AfD)


Unter dem Titel "Das 'Höcke-Gutachten' – oder: Wie erkennt man Rassismus bzw. Extremismus?" hat Werner J. Patzelt, Professor für Politische Systeme und Systemvergleich an der Dresdener TU, am 03.01.2016 dankenswerter Weise ein Gutachten publik gemacht, das Mitglieder aus dem Landesverband Sachsen der Alternative für Deutschland (AfD) bei ihm in Auftrag gegeben hatten.

In einer umfangreichen Vorbemerkung ("A. Zum Kontext") gibt er Erläuterungen zu seiner Sicht der Dinge, seiner persönlichen Positionierung i. S. Rassismus und Extremismus und zum Zustandekommen des Gutachtens. Auszüge (Hervorhebungen von mir):

"Seit langem ist es mir ein Anliegen, an die Stelle des – politisch doch ganz offenkundig kontraproduktiven – „Schimpfmodus“ bei der Verwendung der Begriffe „Rassist“ und „Extremist“ einen für unsere freiheitliche politische Kultur viel hilfreicheren Umgang mit diesen Begriffen zu setzen. Die Leitgedanken eines solchen Umgangs habe ich oben dargelegt.
Vor diesem Hintergrund habe ich sehr gerne eine sich mir im Dezember bietende Gelegenheit genutzt, an einem konkreten, in der aktuellen politischen Diskussion auch wichtigen Beispiel zu zeigen, wie ich mir das richtige Verhalten beim Umgang mit Rassismus- oder Extremismusvorwürfen vorstelle. Folgendes war der Vorgang:
Eine Passage über populationsökologische Zusammenhänge aus einem Vortrag des Thüringer Landtagsabgeordneten und führenden AfD-Politikers Björn Höcke, den dieser am 21. November 2014 am „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda gehalten hatte, erregte erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit. Sie löste erneut eine bundesweite Diskussion über den Charakter der AfD sowie eine heftige AfD-interne Diskussion um die politische und personelle Aufstellung dieser Partei aus. In dieser Lage wurde ich aus den Reihen der sächsischen AfD um eine unabhängige gutachterliche Stellungnahme darüber gebeten, ob jene Vortragspassage rassistisch oder extremistisch wäre.
Aus den oben erläuterten Gründen habe ich gerne zugesagt. Weil es mir außerdem um eine Art „Lehrstück“ ging, habe ich bei der Übersendung des Gutachtens ausdrücklich gefragt, ob ich meinen Text nach dessen zunächst interner Nutzung auch veröffentlichen könne. Diese Zustimmung wurde erteilt.
Nicht von mir, sondern aus mir unbekannten anderen Quellen erfuhr der SPIEGEL von meinem Gutachten. Er überprüfte den Sachverhalt durch einen Telefonanruf bei mir und bat anschließend um Zusendung des Textes. So verfuhr ich dann auch. Aus ihm zitierte der SPIEGEL dann auch einige Stellen (siehe etwa: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-gutachten-hoecke-praktiziert-klaren-rassismus-a-1070033.html)."

"Damit sich jeder selbst ein Bild von meiner gutachterlichen Stellungnahme und der von mir empfohlenen Umgangsweise mit der Frage machen kann, ob Aussagen rassistisch bzw. extremistisch wären oder nicht, mache ich mein vollständiges Gutachten nachstehend allgemein zugänglich. Wie immer sind mir umsichtige, kritische Diskussionen sehr willkommen.
Wer zudem – über meine analytische Herangehensweise an Rassismus und Extremismus hinaus – erfahren möchte, wie ich insgesamt über den Zusammenhang zwischen Natur und Kultur sowie allgemein über die biologischen Grundlagen von Politik nachzudenken empfehle, der findet passenden Lesestoff einesteils im Internet unter https://www.docdroid.net/ugcm/manifest-fr-integrative-humanwissenschaft.pdf.html, .....".

Es ist selbstverständlich nicht Prof. Patzelt anzulasten, dass Spiegel Online (SPON) seine sorgfältig austarierten (wenn auch letztlich Höcke-kritischen) Überlegungen und Schlussfolgerungen gewissermaßen nach Art der Emser Depesche eingedampft hat, um eine möglichst massive "Nazi-Keule" gegen Björn Höcke, im Grunde aber gegen die der Hamburger Medien-Mafia hochgradig verhasste AfD, schwingen zu können.
Wer es nicht über sich bringt, den ganzen Text von Prof. Patzelt oder wenigstens das eigentliche Gutachten (Teil B) zu lesen [was ich freilich dringend empfehle!], aber trotzdem eine ausgewogene Information sucht, sollte den Artikel Rassistisch aber nicht extremistisch, ebenfalls vom 01.01.2016, auf der Webseite "metropolico" lesen, wo der Sachverhalt breiter dargestellt wird als im SPON.

Eine Vorbemerkung zu meiner eigenen Position:
Ich selber bin, sagen wir mal, nicht so der ganz große Höcke-Fan. Aber vorliegend stehen - bei mir ebenso wie in dem Bezugstext von Prof. Patzelt - nicht Höckes soziopolitische Überzeugungen schlechthin und an sich zur Debatte; hier geht es ausschließlich um die Analyse einer Rede (Video), die Höcke am 21.11.2015 auf einem Kongress des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda (ein ehemaliges Rittergut im gleichnamigen Ortsteil der Gemeinde Steigra in Sachsen-Anhalt) gehalten hatte. [Homepage des IfS; Wikipedia.]

Eine weitere Vorbemerkung zum, bzw. ganz allgemeine Wertung des Gutachtens: Prof. Patzelt ringt ehrlich um eine objektive Wertung. Da gibt es keine Vorverurteilung oder finsteren parteipolitischen Absichten. Seine Motive hat Patzelt im Teil A dargelegt: Echten Rassismus zu ächten, aber ebenso, einer Instrumentalisierung des Rassismusvorwurfs entgegenzutreten. Das ist überzeugend und absolut glaubhaft. Und richtig sowieso.

Trotzdem sehe ich stellenweise Auslassungen und Brüche (bzw. logische Lücken) in seiner Argumentation. (Und in einem Punkt habe ich sehr grundsätzliche Bedenken habe; der betrifft aber letztlich nicht das Gutachtenergebnis.) Die Schwachstellen hat Patzelt sicherlich nicht vorsätzlich eingebaut; die sind ihm unbewusst unterlaufen, weil bei allem guten Willen am Ende nicht einmal er sein Denken den mächtigen Strömungen des herrschenden Meinungsklimas völlig entziehen konnte.

Methodisch sauber bringt Prof. Patzelt zunächst eine Definition des von ihm verwendeten Rassismusbegriffs. Er unterscheidet eine enge und eine weite Fassung, und mit letzterer ("kulturalistischer Rassismus") habe ich erhebliche Probleme.
An dieser Stelle will ich aber zunächst ein m. E. zentrales Element hervorheben, dass beide Versionen des Rassismusbegriffs gemeinsam haben: Die Abwertung der fremden Rasse.

So heißt es im Absatz über den "biologischen Rassismus" (enger Rassismusbegriff) (meine Hervorhebungen): "Verbunden wird mit solchermaßen 'erkannten Menschenrassen' nicht selten die Vorstellung, derlei Abstammungsgruppen wären nach ihrer 'angeborenen Kultur' nicht nur (womöglich) unterschiedlich, sondern (vermutlich) auch unterschiedlich wertvoll."
Und
"Auf diese Weise wird bei der Einschätzung von einzelnen Menschen weniger wichtig, wer sie konkret sind und wofür sie tatsächlich stehen, sondern vor allem, welche genetischen bedingten Merkmale sie tragen, und ob sie aufgrund ihrer genetischen Ausstattung wohl mehr oder weniger viel wert wären."

Entsprechend beim "kulturalistischen Rassismus" (weiter Rassismusbegriff):
"Verbunden wird auch mit einer solchen kulturellen Abgrenzung von Menschengruppen in der Regel die Vorstellung, derlei Unterschiede erwiesen sie nicht nur als eben verschieden, sondern obendrein als unterschiedlich wertvoll."
Und
"..... wird ..... bei der Einschätzung von einzelnen Menschen weniger wichtig, wer sie konkret sind ....., sondern vor allem, welche kulturell bedingten Merkmale sie tragen bzw. welche Merkmale ihnen auch nur zugeschrieben werden, und ob durch sie gekennzeichnete Menschen aufgrund ihrer – wirklichen bzw. fiktiv unterstellten – kulturellen Ausstattung mehr oder weniger wert wären."

Dieser Aspekt ist, wie ich noch zeigen werde, in Patzelts Bewertung der Höcke-Ausführungen letztlich untergegangen. So wird, was aus meiner Sicht nur als (inhaltlich selbstverständlich komplett verkorkster) Biologismus (die wirklichen Determinanten für das Reproduktionsverhalten in Afrika werden z. B. hier dargestellt) im Höcke-Text angesprochen werden kann, für Patzelt zum Rassismus.

Zuvor aber eine Kritik am Begriff des "kulturalistischen Rassismus". Der war mir bisher gänzlich unbekannt; ich kannte ihn (mit wohl identischem Inhalt) lediglich (von linken Webseiten) als "Kulturalismus" (Wikipedia).
Nun bin ich ja kein Wissenschaftler, und wenn Prof. Patzelt von "kulturalistischem Rassismus" spricht, dann will ich gerne glauben, dass der in der Wissenschaft gängig ist.
Und in der Tat generiert eine Google-Suche eine Fülle von Treffern, von denen ich hier, ohne irgendein System, einfach zur Information meiner Leser einige herausgreife:
  1.  Zeitgemäß rückwärts gewandt (Ein Aufsatz Martin Bodenstein über bzw. gegen die Pegida-Bewegung, der aber auch abstrakt zum K.-R.-Begriff konzise informiert).
  2. "Rassismus: Ein paar Notizen zu einem grausamen Phänomen". Dieser Text hebt sich insofern wohltuend vom Üblichen ab, als er auch einen kulturellen Rassismus der politischen Linken identifiziert und geißelt: "Er findet sich jedoch leider auch in der linken und vermeintlich antirassistischen Szene. So wird etwa sexistisches oder rassistisches Verhalten häufig mit der Begründung verharmlost, dass dieses Verhalten doch in der jeweiligen Kultur verankert sei („Kulturrelativismus“). Gerade in der Linken wird häufig vergessen, dass nicht jede Bewegung von Migrantinnen auch automatisch eine emanzipatorische Bewegung ist. „Es ist eben dann ein Widerspruch“, so bringt die Bremer Gruppe associazione delle talpe es auf den Punkt, „wenn einerseits Rassismus, Antisemitismus und Sexismus als ein gegenwärtig gesellschaftlicher Missstand völlig begründet angegriffen werden soll, aber diese Phänomene beim so genannten »Anderen« beschwichtigt oder verschwiegen werden. Dieses dann bspw. als kulturbedingt zu verniedlichen ist erschreckend relativierend und wird dem Phänomen des Rassismus, des Antisemitismus und dem des Sexismus in ihrer bedrohlichen Bedeutsamkeit nicht gerecht“." [Dazu auch hier.]
  3. "Anti-muslimischer Rassismus"
  4. "Kulturalistischer Rassismus als Naturalisierung und Legitimierung rassistischen Handelns" ist eine quasi lexikalische Kurzdarstellung auf wissenschaftlichem (aber auch für Laien durchaus verständlichen) Niveau
  5. "Was ist Rassismus?"; ein langer Zeitschriftenaufsatz mit Literaturangaben
  6. Ein Glossar auf einer antirassistischen Webseite
Für mich ist "kulturalistischer Rassismus" kein wissenschaftlich akzeptabler Begriff, sondern bereits (sicherlich gutgemeinte) Propaganda.
Das bedeutet nicht, dass ich jedem Begriffsverwender agitatorische Absichten unterstellen würde. Aber das "gutgemeint" ist eben auch ein Problem. (Ähnlich beim Begriff "Islamophobie": Was einerseits eine Religion von möglicherweise ungerechtfertigter Vorverurteilung schützen soll, ist gleichzeitig ein "kulturrelativistischer" (s. Ziff. 2) Kampfbegriff. Als ein taugliches Instrument neutraler wissenschaftlicher Analyse sehe ich ihn nicht.

Man hört das Trapsen der Nachtigall, wenn man (im o. a. Link Ziff. 1) liest:
"Rassismen änderten in diesem Kontext ihre Erscheinungsformen, wenngleich der Biologismus nicht aus ihren inhaltlichen Repertoires verschwunden ist. Der kulturell begründete Rassismus wurde zur hegemonialen Form, um die alten Inhalte auf neue Weise auszudrücken. Das Ergebnis dieser Transformation wird unterschiedlich als Neo-Rassismus, Rassismus ohne »Rassen«, differentialistischer Rassismus oder auch kulturalistischer Rassismus/Kulturrassismus bezeichnet. Die unterschiedlichen Begriffe reflektieren die Debatten über Form, Inhalt und Funktion des neuen Rassismus. Dieser transportiert seine Inhalte nicht mehr auf der Grundlage von Natur und Biologie, sondern auf der Ebene von Kulturen. Er behauptet nicht länger eine rassische Ungleichheit, sondern steht für die Bewahrung kultureller Differenzen. Der kulturalistische Rassismus, der seit den 1970er Jahren durch die »Neue Rechte« propagiert wurde, ist seitdem im gesellschaftlichen Diskurs tief verankert."
Der Begriff Rassismus ist (nur) dort ein deskriptiv korrekter Begriff, wo es um biologistisch fundierte Auffassungen geht. Auf DIESEM Feld funktioniert
er (durchaus legitim) auch als politischer bzw. gesellschaftlicher Kampfbegriff.
Bei einer Übertragung auf soziale Abgrenzungen nicht-biologischer Art verschwimmt der präzise deskriptive Gehalt (nämlich die biologische Zuschreibung), und an seiner Stelle schiebt sich ein nur noch (negativ) wertender Gehalt in den Vordergrund. Das Wort "Rassismus" wird nicht verwendet, weil es erkenntnisfördernd wäre. Sondern es wird aus Gründen propagandistisch-exploitativer Weise eingesetzt: Weil er als "böse" besetzt ist, kommt er für den öffentlichen Meinungskampf hier gerade zupass. Obwohl er deskriptiv insoweit in die Irre führt, als diese Form des sog. Rassismus Personengruppen gerade nicht nach biologischen Kriterien abgrenzt.


Zweifellos existieren nicht-biologische Abgrenzungen, die in ihrer Wirkung dem Rassismus entsprechen. Und wenn man im Text von Martin Bodenstein liest:
"Eine weit verbreitete These geht davon aus, dass der neue Rassismus seinen Prototyp in Form des modernen Antisemitismus aufweist. Beide Ideologien seien demnach auf keinen biologisch fundierten Rassenbegriff angewiesen, sondern unterstellen in einer differentialistischen Logik einen nicht assimilierbaren kulturellen Unterschied",
dann ist das eine durchaus plausible Sicht der Dinge. Trotzdem macht es einen sachlichen Unterschied, dass die Antisemiten selber jedenfalls in der Nazizeit die Differenz rassentheoretisch begründet haben. Und es heute vielleicht nicht mehr tun.


Ein Problem ist, dass ein solcher Begriff leicht für den Kampf gegen jedwede Gruppenabgrenzung missbraucht werden kann (was wir gerade aktuell in der Debatte über die sog. "Flüchtlingskrise" erleben). Solche Abgrenzungen sind aber nicht nur legitim, sondern für das Funktionieren jedweder Entitäten (wie z. B. Staaten) geradezu existenznotwendig.
(Mehr essayistisch wird dieses Thema hier entfaltet; ökonomisch hochkonzentriert dagegen am Schluss eines ZEIT-Interviews mit Prof. Hans-Werner Sinn vom 08.10.2015:
ZEIT: Ein Staat ist kein Haus.
Sinn: Doch. Ein Staat ist eine Art Verein – und bei vielen Leistungen, die die Mitgliedschaft in diesem Verein mit sich bringt, besteht eine Rivalität in der Nutzung: Wenn einer die Leistung nutzt, dann schränkt das die Möglichkeiten der anderen ein. Das gilt für den Bus, das Rechtssystem, die Infrastruktur, für die Arbeitslosenunterstützung und auch für die Natur. Deshalb gibt es Staatsgrenzen, die verhindern, dass jeder die Leistung nach Belieben in Anspruch nehmen kann.
ZEIT: Innerhalb Europas haben die Schengen-Staaten ihre Grenzen untereinander geöffnet.
Sinn: Deshalb müssen sie die gemeinsame Außengrenze sichern – und wenn das nicht passiert, eben doch die eigenen Grenzen. Eine Welt ohne Grenzen, in der sich jeder nimmt, was er gern hätte, kann nicht funktionieren. Das ist eine Wildwestgesellschaft mit allem, was dazugehört.)

Außerdem sind Wertunterschiede zwischen Menschengruppen (Völkern usw.) keineswegs imaginär, sondern real. Wenn Patzelt schreibt (meine Hervorhebung):
"Zwar gibt es vielerlei Anhaltspunkte dafür, dass nicht jede Kultur gleichen Wert etwa auf Nachhaltigkeit oder Innovationskraft legt. Das beschert den Kulturen dann unterschiedliche Entwicklungsverläufe und unterschiedliche wechselseitige Wettbewerbsmöglichkeiten. Doch es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass – selbst angesichts all dessen – eine Kultur an sich besser oder schlechter als eine andere Kultur wäre"
dann ist das zwar insoweit richtig, dass in einem gedachten metaphysischen (etwa göttlichen) System ewiger Werte "jedes Volk unmittelbar zu Gott ist" (frei nach Leopold von Ranke formuliert).
Aber im praktischen Leben müssen mich (ganz davon abgesehen, dass ich Agnostiker bin) solche absoluten Wertskalen nicht interessieren. Da bewerte ich aufgrund meiner eigenen Interessen bzw. der Interessen meiner Gruppe. So würde ich bei Einwanderern selbstverständlich selektiv nach Herkunftsländern bzw. Kulturen vorgehen, in Abschätzung der kulturellen Kompatibilität und der Leistungsbereitschaft der Einwanderer.

Es gibt kulturelle Zustände, in denen die Menschen vielleicht ebenso glücklich sind wie wir, die ich aber in meinem Land nicht haben möchte (beispielsweise das infantile Gemeinwesen des modernen Griechenland, oder vergleichbar des italienischen Mezzogiorno. Von wo die Bewohner dann ja auch auswandern, um ihren Lebensunterhalt anderswo zu suchen.). Und es gibt im Westen ein selbstwidersprüchliches Denken (vgl. auch hier), das beispielsweise Naturvölkern ihren Lebensraum und ihre Lebensform erhalten, gleichzeitig aber allen die Segnungen unserer Zivilisation zukommen lassen will (die also insoweit doch als "besser" bewertet wird).

Diesen ganzen Komplex angemessen zu diskutieren wäre freilich ein weites Feld. Hier kann ich zum Glück darauf verzichten, denn Patzelt hat bei seiner Bewertung der Höcke-Rede auf biologischen Rassismus abgestellt.


Freilich halte ich es für unerlässlich, bei der Prüfung eines (biologischen) Rassismusverdachts ZWEISTUFIG vorzugehen:
  1. Prüfen ob eine Aussage biologistisch ist. Rassismus (biologischer Art; anderes würde ich ohnehin nicht R. nennen) kann per definitionem dort nicht vorliegen, wo es nicht um biologische Sachverhalte geht. (Wobei es dann egal ist, ob diese tatsächlich existieren oder ob sie - wie bei Höcke - vom Sprecher lediglich fälschlich unterstellt wurden.)
  2. Prüfen, ob die Aussage eine Abwertung beinhaltet. Und zwar eine Abwertung nicht der eigenen Menschenklasse, sondern einer fremden. [Auf der Grundlage entsprechender - allgemeiner - Ausführungen des Sozialpsychologen Peter Robert Hofstätter ziehe ich hier den allgemeineren Begriff "(Menschen)Klasse" dem gebräuchlicheren aber engeren Ausdruck "(Menschen)Gruppe" vor. Klassen in diesem Sinne sind einfach durch ein oder mehrere gemeinsame Definitionsmerkmale bestimmt; Gruppen sind strukturierte Entitäten mit einem inneren Zusammenhang. "Die Weißen" oder "die Schwarzen" als Gesamtheit sind also Klassen, keine Gruppen. Selbstverständlich können unterscheidende Merkmale aber auch gruppenbezogen sein; häufig wird die Gruppenzugehörigkeit selber dieses Merkmal darstellen.]
Die zweite Prüfung hat Prof. Patzelt aus meiner Sicht versäumt.
Ein Beispiel für eine negative Bewertung der eigenen und einer höhere Bewertung der fremden Klasse lässt sich z. B. wie folgt konstruieren:
In der schwarzafrikanischen Population gibt es eine größere Genvielfalt als in der europäischen (habe ich zumindest mal irgendwo gelesen; aber selbst wenn das nicht zuträfe, bliebe es vorliegend als konstruiertes Beispiel brauchbar.)
Man könnte daraus die Forderung ableiten, die europäische Population mit Schwarzafrikanern genetisch "aufzusüden".
Das wäre eindeutig biologistisch. Es wäre auch wertend, weil die größere Vielfalt der Gene in der afrikanischen Population positiv bewertet, und deren Fehlen bei den Europäern als Mangel.
Aber zum einen wäre das keine irgendwie moralische Abwertung der Europäer; es wäre eine auf die Zukunft gerichtete Züchtungsstrategie, die Arten mit höherer Genvielfalt, aus welchen Gründen auch immer, positiver bewertet. Die jedoch auf der Ebene der gegenwärtig lebenden Individuen keine Minderwertigkeit der 'Gendefizitären' in irgend einer anderen Hinsicht postuliert.
Und selbst wenn, wäre das keine Abwertung der anderen Populationsklasse.
Und DAS ist für mich das Entscheidende beim Rassismus, der Grund, warum dieser verwerflich und abzulehnen ist: Die Abwertung der Fremden.

Eine solche Abwertung (hier speziell: ) der Afrikaner (gemeint sind zweifellos in allererster Linie die Schwarzafrikaner; bei den Nordafrikanern ist der Geburtenüberschuss schon weitaus geringer) ist dem Text der Schnellrodaer Rede von Björn Höcke nicht zu entnehmen. Die Passage, in der Patzelt zum gegenteiligen Urteil kommt, lautet (Höcke-Sätze im Original kursiv hervorgehoben, hier von mir gefettet):

"Somit erweist sich, dass auch die folgenden Aussagen rassistisch sind. Überdies sind sie empirisch falsch:
  • Es hat „die Evolution Afrika und Europa … zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert“.
Keineswegs hat „die Evolution“ Afrika und Europa zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien „beschert“. Vielmehr gibt es beide Strategien auf sämtlichen Kontinenten, wobei die r-Strategie die ältere zu sein scheint. Bei Menschen – ihrerseits eine vergleichsweise neue Hervorbringung der Evolution – kommt aber nur die K-Strategie vor, weshalb es hinsichtlich der den Menschen angeborenen „Fortpflanzungsstrategie“ völlig unwichtig ist, auf welchem Kontinent sie leben oder von welchem Kontinent sie kommen.
  • Es herrscht Afrika die r-Strategie vor, während man in Europa überwiegend die K-Strategie verfolgt.
Erstens wird keine dieser Strategien „verfolgt“, sondern gehört jeweils zu jenem genetischen Programm, das allem Verhalten einer Art vorgeordnet ist. Zweitens gibt es hinsichtlich der angeborenen Fortpflanzungsstrategie ohnehin keine Unterschiede zwischen Afrikanern und Europäern. Drittens gehen jene Unterschiede im tatsächlichen Reproduktionsverhalten, die man beim Vergleich zwischen afrikanischen und europäischen Staaten leicht erkennen kann, auf kulturelle und soziale Faktoren zurück, ja sogar auf politisch beeinflussbare Rahmenbedingungen. Zu alledem gehört unter anderem, ob Frauen soziokulturell nach der Zahl ihrer Kinder beurteilt werden; ob Kinder zu haben als Ersatz für ein fehlendes Kranken- oder Rentenversicherungssystem dient; ob Kinder zu haben ein Armuts- oder soziales Deklassierungsrisiko darstellt; ob sich durch wirksame Verhütungsmaßnahmen der Zusammenhang zwischen Sex und Fortpflanzung unterbrechen lässt; und was die gesellschaftlichen Leitbilder für ein gelingendes Leben sind. Doch alle diese rein kulturellen Faktoren, in denen sich Europa und Afrika vielfach bis heute unterscheiden, bleiben bei Höcke unter einen – obendrein falsch verstandenen – biologischen Faktor verborgen. So zu verfahren, erfüllt den Tatbestand des Rassismus.
Empirisch womöglich richtig, doch obendrein rassistisch ist die folgende Aussage:
  • „Im 21. Jahrhundert trifft der … afrikanische Ausbreitungstyp auf den … europäischen Platzhaltertyp.“
Sehr wohl gibt es in Afrika Bevölkerungswachstum, während es – abgesehen von Einwanderung – ein Europa einen Bevölkerungsrückgang gibt; und in Form von andauernder Migration aus Afrika nach Europa mag beides auch weiterhin aufeinandertreffen. Für beide „Typen“ gibt es gut verstandene soziokulturelle und politische Gründe, doch keine biologischen Ursachen. Es existiert nämlich schlechterdings kein „afrikanischer Ausbreitungstyp“ im Unterschied zu einem „europäischen Platzhaltertyp“, der seinerseits unseren politischen oder soziokulturellen Gestaltungsmöglichkeiten vorgeordnet wäre. Genau das aber behauptet Höcke aufgrund seines Missverständnisses des Konzeptpaars von r- und K-Strategien. Also praktiziert er auf diese Weise klaren Rassismus."

Ein wenig erschreckt mich Patzelts Formulierung
"..... die folgenden Aussagen rassistisch sind. Überdies sind sie empirisch falsch"
Denn das "überdies" impliziert, dass auch empirisch richtige Aussagen geben kann, die gleichwohl als "rassistisch" einzustufen - und damit abzulehnen, zu verbieten und ggf. strafrechtlich zu verfolgen! - wären.

Entsprechend auch in dem Satz:
"Empirisch womöglich richtig, doch obendrein rassistisch ist die folgende Aussage"
Das wäre das Ende der Wissenschaft, das Ende der Aufklärung und das Ende jeglicher Empirie, wenn empirisch richtige Aussagen als rassistisch unterdrückt werden dürften.

Ich hoffe, dass Prof. Patzelt das nicht so gemeint hat, und dass ihm diese Formulierungen nur versehentlich "aus der Feder geflossen" sind. Dann sind sie freilich ein erschreckender (gewissermaßen: ) "Bioindikator" für den Diskursstand (das Meinungsklima) in diesem unserem Lande, bzw. in der westlichen Welt überhaupt.
(Zum Glück ist der Höcke-Satz über die Platzhalter- und Ausbreitungstypen empirisch FALSCH. Richtig ist allein die dahinter stehende - aber mit der formulierten Aussage selber nicht identische - Beobachtung, dass es in Europa ein Geburtendefizit und in Afrika - insbesondere in Schwarzafrika - einen hohen Geburtenüberschuss gibt.)

Schauen wir uns die drei inkriminierten Höcke-Sätze an, dann zeigt sich, dass sie samt und sonders biologistisch sind. Und auch durch die Bank falsch.
Um das zu erkennen, muss man kein Biologe sein. Wer es dennoch nicht glaubt (auf der Facebook-Seite von Prof. Patzelt gab es einen ziemlich arroganten Kommentar offenbar von einem Laien, der Patzelt das Recht absprach, den biologischen Sachverhalt zu beurteilen), kann sich aber von studierten Biologen belehren lassen:
"Hat Höcke recht, aber wir dürfen es nicht sagen? – Ein Fakten-Check mit Anleitung zur Verhinderung totalitären Denkens" (15.12.2015);     "Stoppen wir lügende Politiker!" (15.12.2015);     "Höckes Bio-Blödsinn" (16.12.2015).
(Aber auch Widerlegungen durch Fachleute werden solche Geister nicht überzeugen.)

Nur: Kein einziger dieser Sätze enthält eine Abwertung der (Schwarz)Afrikaner.
Im Gegenteil: Kurz nach der 30. Minute im Video fasst Höcke einige vorangegangene Ausführungen in einem Satz zusammen, den Prof. Patzelt oben nur unvollständig zitiert, und den ich hier vollständig wiedergebe (unter Hervorhebung von Patzelts Auslassungen):
"Kurz: Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp."
Hier wird also der europäische, und damit der eigene "Typ" abgewertet ("lebensverneinend") und der fremde "Typ" aufgewertet ("lebensbejahend").
(Dass hinsichtlich der unterschiedlichen Geburtenrate beide zu Unrecht als genetisch bestimmt verstanden werden, ist ein - irriger - Biologismus. Aber, mangels Wertung und insbesondere mangels Abwertung des anderen, kein Rassismus.)


Patzelt hat die beiden Adjektive "lebensbejahend" und "selbstverneinend" an dieser Stelle mit Sicherheit nicht mit böser Absicht ausgelassen; denn zuvor hatte er ja den vollständigen Text zitiert. Aber offenbar erschienen sie ihm nicht wichtig für seine Beurteilung.
Tatsächlich sind sie es ja auch dann nicht, wenn man so verfährt wie Patzelt das bei der Beurteilung der Höcke-Rede letztlich tut: Nämlich bereits das Ergebnis desjenigen Teils der Untersuchung, der eigentlich nur die erste Stufe ausmachen sollte, für das Endresultat zu nehmen, also den (zutreffend diagnostizierten) Biologismus kurzerhand mit Rassismus gleichzusetzen.
Das aber ist, wie ich oben gezeigt habe, verfehlt. Wenn man im ersten Schritt Biologismus feststellt, muss immer noch in einem weiteren Schritt davon unabhängig geprüft werden, ob damit eine Klasse von anderen Menschen abgewertet werden sollte. Ist das nicht der Fall, stellt der Biologismus keinen Rassismus dar.

Auch in dieser Unterlassung zeigt sich aber wiederum, wie sehr die Macht des Meinungsklimas in unserer Kultur das Denken selbst bei einem Wissenschaftler zu steuern vermag, der keineswegs als Sklave des Mainstream angesehen werden kann.
Der Diskurs des herrschenden Konsensfaschismus vergiftet alles.
Darum ist es die Aufgabe, solche Wirkmechanismen aufzuspüren und ins Bewusstsein zu rücken und, wo möglich, gegen den Konsensfaschismus zurückzuschlagen bzw. durch eine eigene Narrative in die Schranken zu weisen.

Auch einen weiteren Aspekt hat Patzelt nicht thematisiert, dem man, wenn auch mit großen Vorbehalten, als Entlastungsmoment für Höcke ins Feld führen könnte.
 
"Solange wir bereit sind, diesen Bevölkerungsüberschuss aufzunehmen, wird sich am Reproduktionsverhalten der Afrikaner nichts ändern", sagt Höcke, und diesen Satz hat Patzelt in seinem Gutachten auch wiedergegeben.
Doch setzt er ihn (wie Höcke selber leider auch) nicht in eine logische Beziehung zur (implizit) behaupteten genetischen Kausalität der Unterschiede im Reproduktionsverhalten von Afrikanern und Europäern.
Sonst wäre beiden aufgefallen, dass es selbstwidersprüchlich ist, einerseits die Möglichkeit einer kurzfristigen Steuerung der Geburtenrate durch veränderte Umwelteinflüsse zu postulieren, die man andererseits aber als genetisch (also nur in einem längeren Evolutionsprozess änderbar) behauptet.

Patzelt mag es gesehen, aber für eher unwichtig gehalten haben. Das Höcke dieser intrinsische Widerspruch nicht aufgefallen ist, spricht als Politiker nicht für ihn.
Aber immerhin kann man es als ein Indiz dafür werten, dass Höckes Denken in dieser Frage eben doch nicht so beinhart biologistisch ist, wie es zunächst den Anschein hat.


Gegenstand der Untersuchung war die Schnellrodaer Rede von Björn Höcke und die Frage, ob sich aus dieser eine Charakterisierung von Höcke als Rassist rechtfertigen lässt. Es geht also nicht um eine umfassende Untersuchung von Höckes Denken.
Was das anbetrifft, kann man aus Patzelts Bemerkung "Es geht aus dem untersuchten Text allerdings nicht hervor, ob dieses Missverständnis seinerseits zu rassistischen Aussagen führte, oder ob umgekehrt eine vorgängige rassistische Grundeinstellung überhaupt erst jenes Missverständnis nach sich zog" durchaus problematische Indizien gegen Höcke ableiten.

Aber in der hier behandelten Rede gibt es eben auch gewichtige Gegenindizien, so dass für mich die Frage auf dieser Basis NICHT entschieden werden kann.


ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand vom 05.01.2016

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