Mittwoch, 13. Juli 2016

Gedeontenfaust, 3. Akt: Im inneren Burghof. Interpretation und Textauszüge.


Soweit es nicht gerade um ihre unmittelbaren materiellen Interessen geht, orientieren sich im Bereich der Politik die meisten Menschen wohl wie magnetisierte Eisenspäne: Nach vorgegebenen Loyalitäten und Einstellungen.

Solche Anhänglichkeiten können sich auf Parteien beziehen, auf konkrete Politiker oder auf (mehr oder weniger bewusste) Meinungskonstellationen bzw. "Ideologien".
Auf diese Weise sortieren sich wohl auch die allermeisten AfD-Anhänger und AfD-Parteimitglieder, auch und gerade im aktuellen Konflikt in der Landtagsfraktion der Alternative für Deutschland in Baden-Württemberg (der darüber hinaus ein Konflikt auch im dortigen AfD-Landesverband sowie in der Gesamtpartei ist).

Ich selber folge nur ungern blind einem Leithammel oder wunderbaren Welterklärungs- oder Weltverbesserungssystemen. Vielmehr versuche ich, politische Sachverhalte möglichst gründlich zu analysieren und mich auf dieser Grundlage möglichst rational zu positionieren.
Ganz abgesehen davon, dass man das schon aus Zeitgründen nur in (wichtigen) Einzelfällen machen kann, ist es für ein kleines Parteimitglied wie mich sehr schwierig, überhaupt eine solide Informationsbasis zu erarbeiten. Zwar haben die Medien sehr viel über den vorliegenden Konflikt berichtet; gleichwohl bleiben wesentliche Fragen offen.
Auf dieser Basis versuche ich, die Vorgänge zu deuten, und beziehe dazu Position.

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Im vorliegend behandelten 3. Akt seines Dramas präsentiert uns der Dichter Johann Wolfgang Goetheon ein geradezu klassisches Beispiel für die aristotelische Einheit von Handlung, Ort und Zeit: Er spielt im Wesentlichen am Dienstag, 05.07.2016, und im Gebäude des Stuttgarter Landtages.

Dramatis personae:


Jörg Meuthen: Tragischer Held
Professor der Wirtschaftswissenschaften; Mit-Bundessprecher (neben Frauke Petry) des Bundesverbandes der Alternative für Deutschland (AfD), Mit-Landessprecher (von dreien) des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg (BW); einstiger Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von BW und seit der dortigen (Teil-?)Katastrophe in unserem Drama Vorsitzender einer (juristisch noch nicht anerkannten; s. a. hier) AfD-Teilfraktion unter den Namen "Alternative für Baden-Württemberg".


Frauke Petry: Dämonische Schönheit
Promovieret im Fach Chemie; Unternehmerin; Mit-Bundessprecherin (neben Jörg Meuthen) des Bundesverbandes der Alternative für Deutschland (AfD), Landessprecherin (alleinige) des AfD-Landesverbandes Sachsen; Fraktionsvorsitzender der AfD im sächsischen Landtag.


Gedeontenschar: Die Weisen vom Ländle im Kampf für das Menschenrecht auf Verschwörungstheorien
(Im Dramentext auch in den Rollen der "Rebellen", "Altfraktion" und "Restfraktion" auftretend.)
Einstmals zehn Stuttgarter Landtagsabgeordnete der AfD, die gegen einen Fraktionsausschluss des antisemitischen MdL Dr. Wolfgang GEDEON gestimmt haben.
Einer war Dr. Gedeon selber; einen anderen packte die Reue, jetzt sind's nur noch ACHT;
drei müssen noch raus, dann wäre diese (Alt-)Fraktion weggemacht.
Die Rebellen müssen nicht zwangsläufig Anhänger oder Verteidiger von Dr. Gedeon sein, oder gar selber Antisemiten. Vielleicht wollten einige oder viele davon auch lediglich Prof. Meuthen eins auswischen, oder sie stellen die Solidarität mit einem angegriffenen Parteifreund über die Solidität unserer Politik.
Ein solches Verhalten ist aber in jedem Falle inakzeptabel. Denn dass dabei unsere gesamte AfD gleich mit ausgewischt werden könnte, sozusagen als Kollateralschaden, geht diesen genialen Provinz-Politioten offenbar am Allerwertesten vorbei.
Namentlich (Listen s. hier die obere Bildergalerie. woher auch die nicht verlinkten Zitate bzw. Infos unten bei den MdL-Namen stammen; dort auf einer Anti-AfD-Seite) handelt es sich um folgende MdL:
  1. Dr. Wolfgang Gedeon. Faustischer Sucher (Homepage). Stochert rum in alten Pingen, statt zum Erz der Erkenntnis vorzudringen. Beim erregenden Moment des Dramas war er ebenfalls ein Akteur in der (noch ungespaltenen) AfD-Landtagsfraktion; trat nach der Fraktionssitzung vom 05.07. aus. Hatte seine Mitgliedschaft bereits ab dem 21.06.  "ruhen" lassen (kein rechtlich vorgesehener Status, aber natürlich als praktisches Handeln machbar) dürfte er an der letzten Abstimmung der Gesamtfraktion eigentlich nicht mehr teilgenommen haben. Offenbar war das aber doch der Fall, denn Prof. Meuthen teilte auf einer Pressekonferenz (Video) mit, dass -9- Abgeordnete gegen seinen Ausschluss gestimmt hätten und -1- weißer Zettel abgegeben wurde. Von diesen - mutmaßlichen - Abstimmungsgegnern Meuthens erscheint Rainer Balzer als später zur Meuthen-Neufraktion Übergetretener unten separat; in der Summe ergibt sich die Zahl von insgesamt -10- Meuthen-Gegnern. (Anmerkung am Rand: Ich bin kein Fan von Michael Mannheimer, aber es ist durchaus möglich, dass der Antisemitismus von Wolfgang Gedeons linksextremistische Wurzeln hat: AfD-Abgeordneter Gedeon: Das trojanische Pferd der Linken. Inhaltlich ist diese Ausrichtung, jetzt jedenfalls, bei ihm allerdings eher fundamentalchristlicher Art. So oder so hegt jedenfalls auch Mannheimer keine Zweifel an Gedeons Antisemitismus.)
  2. Heiner Merz: Gewiefter Unterscheider von Antizionisten und Antisemiten ("Fiel in der Auseinandersetzung um Gedeon auf, als er dessen Aussagen relativierte und erklärte, er halte Gedeon nicht für einen Antisemiten, sondern lediglich für einen Antizionisten."). Als neuer Fraktionsvorsitzender der AfD-Rest-Fraktion (Altfraktion) ein Spaltungsgewinner; lt. diesem Bericht bringt die Position anscheinend eine Diätenerhöhung um monatlich 9.520 €.
  3. Bernd Grimmer: Im 13-köpfigen AfD-LaVo-BW einer der drei Sprecher; einer von zwei direkt gewählten AfD-Kandidaten ("Der Stimmenkönig aus Pforzheim"; in Pforzheim wohnen zahlreiche russischstämmige Spätaussiedler.); in der Altfraktion parlamentarischer Geschäftsführer; diesen Posten hatte er auch schon in der noch ungeteilten "GESAMTFRAKTION" inne. Bei der Auseinandersetzung um Dr. Gedeon ein Meuthen-Gegner. Hatte lt. einer FAZ-Erwähnung (vom 22.06.16) der Pforzheimer Zeitung (am 21.06.2016?) gesagt "er „schätze Gedeon“ und hoffe, dass sowohl Gedeon als auch der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen der Fraktion erhalten blieben."
  4. Emil Sänze: Einer von zwei stellvertretenden Vorsitzenden in der Gesamtfraktion und ebenso in der Restfraktion. In der Auseinandersetzung um Dr. Gedeon ein Meuthen-Gegner. Bestand auch nach der Fraktionsspaltung ursprünglich auf weiteren Gutachten; hat dann aber seine Meinung rasch geändert.
  5. Rüdiger Klos: Stellvertretender Sprecher im 13-köpfigen Landesvorstand. Hatte eins von zwei Direktmandaten für die AfD geholt (Interview). Wird eigentlich dem bürgerlich-konservativen Lager der AfD zugerechnet. Leute aus dem rechten Spektrum hatte er dem SWR gegenüber als "krank" bezeichnet. In der Restfraktion einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden. Keine Ahnung, was den umtrieb, Gedeons Ausschluss zu hintertreiben. Von seinem Kreisverband bekommt er jedenfalls Gegenwind; vgl. Interview des "Mannheimer Morgen" mit KV-Vorsitzendem Robert Schmidt vom 12.07.2016.
  6. Christina Baum: Stellvertretende Sprecherin im 13-köpfigen Landesvorstand. Berühmt geworden, weil ein SPD-MdL ihr nicht Pfötchen geben wollte (Video, ca. Sek. 20 ff.; hier ein FAZ-Bericht dazu).
  7. Bernd Gögel: "Als entscheidenden Grund für sein Abstimmungsverhalten im Fall Gedeon gab er in einem Interview mit der "Pforzheimer Zeitung" (Donnerstagsausgabe) an, dass seine Fraktion zu einer Abstimmung gezwungen worden sei, die sie zu diesem Zeitpunkt nicht haben wollte. 'Ich habe mich in meinem Leben noch keiner Erpressung gebeugt'."  Aufgrund von Informationen über seine Positionierung in der Zeit davor nehme ich ihm die Begründung "Widerstand gegen Erpressung" nicht ab; ich gehe hier von Wagenburgmentalität aus. (Was auch für andere das entscheidende Motiv gewesen sein mag, gegen Gedeons Ausschluss zu stimmen.) Eine Anfrage auf Abgeordnetenwatch vom 07.06.2016 zur Gedeon-Geschichte hat er nicht beantwortet. Hier offenbar ein Interview mit Gögel vom 07.07.2016; leider kostenpflichtig.
  8. Stefan Räpple: Angeblich ein "Identitärer" und offenkundig ein Hardcore-Gedeont (z. B. hat er sein Abo der „Jungen Freiheit“ gekündigt, weil diese die AfD im Fall Gedeon kritisiert hatte; vgl. auch hier als Gedeon-Begleiter). Soll als Gutachter zu Gedeons Antisemitismus den Holocaust-Leugner Gerard Menuhin vorgeschlagen haben, bestreitet das aber in einem Facebook-Eintrag vom 10.07.2016 ("Ein Hinweis in eigener Sache: Das Gerücht, ich wollte Gerard Menuhin als Gutachter haben, ist falsch! Jeder der das öffentlich behauptet, wird von mir zukünftig abgemahnt werden."). Kann mir dennoch schwer vorstellen, dass der - wenn er es denn überhaupt wollte - in die neue Fraktion aufgenommen würde.
  9. Hans-Peter Stauch: Über diesen berichtete die Hohenzollerische Zeitung am 08.07.2016: "Die vorläufige Spaltung der Fraktion sei nicht denen zuzuschreiben, die sich dafür entschieden hätten, der AfD-Fraktion die Treue zu halten. „Es waren vielmehr Differenzen bezüglich der korrekten Handhabung der Causa Gedeon, welche die in der Fraktion verbliebenen Mitglieder dazu bewogen haben, einem sofortigen Ausschluss nicht zuzustimmen“, so Stauch. Die Tatsache, dass er in der AfD-Fraktion verblieben ist, rechtfertige nicht den Umkehrschluss, er würde sich „mit den Verschwörungstheorien eines Wolfgang Gedeon identifizieren“, stellt Stauch fest." Vielleicht besteht also bei Stauch die Chance, dass er doch noch zur Besinnung kommt. Dabei könnte helfen, dass er lt. demselben Bericht "von seinem Reutlinger Kreisverband wegen seines Verbleibs hart" kritisiert wird.
Später zur neuen Fraktion Übergetretene (per 15.07.2016 erst einer):
  1. Rainer Balzer: In der Gesamtfraktion stellvertretender Vorsitzender. Hatte seinerzeit gemeinsam mit Bernd Grimmer gefordert, die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Wolfgang Gedeon durch "ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten" prüfen zu lassen. Wechselte am Tag nach der Spaltung aber zum Lager von Jörg Meuthen (Meldung vom Übertritt 06.07.2016).

13-köpfiger Landesvorstand (LaVo) in BW

Einem Ausschlussantrag aus der Partei sollte nunmehr eigentlich nichts im Wege stehen. Am 12.07.2016 hat nämlich die alte (und bislang alleinige) Fraktion der Gedeonten dem AfD-Landesvorstand ein Parteiausschlussverfahren gegen Dr. Gedeon empfohlen.
Zwar ist die Begründung
"Im Rahmen dessen könnten die Antisemitismus-Vorwürfe gegenüber Gedeon abschließend geklärt werden"
insofern einigermaßen schräg, als man ein Ausschlussverfahren redlicher Weise überhaupt erst dann beantragen kann, wenn man selber von der Richtigkeit der Vorwürfe überzeugt ist.
Immerhin ist aber jetzt wohl zu erwarten, dass auch die Altfraktionäre im LaVo (also Dr. Bernd Grimmer, Dr. Christina Baum und Rüdiger Klos) FÜR einen Ausschlussantrag stimmen werden und dieser nunmehr auf den Weg gebracht werden kann.
(Welchem Lager die Nicht-Abgeordneten im LaVo jeweils angehören, weiß ich nicht.)
 
Drei gemischte Chöre:
  • Gesamtdeutscher Gesangschor der Alternative für Deutschland (summt im Zuschauerraum mit)
  • Großer Chor des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg (hier einige Gesänge aus dem Orchestergraben; ein Bühnenauftritt erfolgt erst im 4. Akt)
  • Gedeontensingkreis in der AfD BW (Bühnenauftritt ist im 4. Akt zu erwarten)

Marcus Pretzell: Souffleur
Die Zuschauer sehen ihn nicht; sie wissen aber, dass auch er auf der Bühne herumgeistert.

Verfassungsschützer: Kulissenschieber, die auf ihren großen Einsatz lauern
(Zu dem es hoffentlich nicht kommen wird; zumal es da einige rechtliche Hürden gibt.)

Zueignung:

Für den Holocaust müssen wir Deutschen selbstverständlich die VERANTWORTUNG übernehmen. Das bedeutet nicht, dass wir einem "Schuldkult" frönen sollten.
Wohl aber müssen wir dafür eintreten, dass antisemitische Diskurse keinen Platz in unserer Gesellschaft, zumindest aber nicht in einer politischen Partei in Deutschland finden.
Denn der notwendige Vorläufer des Holocaust war eben dieser antisemitische Diskurs. Darum wehren wir jedwedem neuerlichen Aufwärmen dieser alten Brühe:

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die bitterbös sich einst dem trüben Blick gezeigt?
Versuche wohl, sie diesmal fernzuhalten:
Nicht länger sei dein Herz noch jenem wirren Wahn geneigt!
Ihr drängt euch zu, doch nein: Ihr sollt NICHT walten,
Wie ihr aus brennend braunem Abendnebel steigt!
Mein Busen ist erfahrungsklar erschüttert
Vom Pesteshauch, der euren Zug umwittert.

Prolog im Himmel

Antisemitismus (in größerem Umfang) bringt für eine Partei ZWEI Probleme:
  1. Ist sie beim Wähler unten durch, wird ggf. vom Verfassungsschutz beobachtet, dann dürfen Staatsbedienstete nicht mehr Mitglied sein .....: Eine tödliche Abwärtsspirale.
  2. Davon ganz abgesehen, sind solche Verschwörungstheorien die falsche Welterklärung. Wer aber ein falsches Weltbild hat, kann keine richtige Politik machen. Sondern hat sich von unseren Widersachern in genau in jene Ecke manövrieren lassen, wo er für diese, also für unsere wirklichen Gegner, ungefährlich ist.

 

Vorspiel auf dem Theater

Die Pfosten sind aufgeschlagen; die Frage ist, wie man auf den Brettern spielen sollte.
Ganz allgemein im Leben, besonders aber in der Politik, erwartet sich jedermann ein Fest.
Aber kein Schlachtfest.
Deshalb sollte für die Rolleneinteilung gelten:
  1. Entweder knie ich mich selber in die jeweilige Problemstellung herein, schaue mir an, worum es geht und bilde mir ein Urteil.
  2. Habe ich das getan, bin mir aber nicht schlüssig, dann ziehe ich Experten zu Rat.
  3. Wenn ich das NICHT getan (z. B. weil mir die Zeit dafür fehlt), dann muss ich mich, in einer Partei, auf den verlassen, der die formale Entscheidungskompetenz hat und/oder der sich mit einer Angelegenheit auskennt.
  4. Dann diskutiere ich das ggf. mit dem und folge ihm.
Vorliegend gehe ich NICHT davon aus, dass sich Frauke Petry und die Gedeonten selber intensiv mit den Antisemitismus-Vorwürfen gegen Dr. Gedeon beschäftigt haben.
Sie wollten die ganze Angelegenheit, aus welchen Gründen auch immer (schlechten oder - vermeintlich - guten), auf die lange Bank schieben (bzw. die Lage beruhigen).

Falls meine Annahme unzutreffend sein sollte und sich doch der/die eine oder andere tiefer in die Sache reingekniet hat,
  • dann stellt sich selber ein politgeistiges Armutszeugnis aus wer dann noch behauptet, in Gedeons Äußerungen keinen Antisemitismus nicht erkennen zu können.
  • oder man ist selber Antisemit und will einen Gesinnungsgenossen decken
  • oder es ist einem egal, ob einer Antisemit ist oder nicht, und man stellt die Solidarität mit einem Parteifreund über alles. (Was dann keine - legitime - Solidarität mehr wäre, sondern eine illegitime KUMPANEI!)
Jedenfalls: Wenn man erst einen, bzw. hier sogar (wie jedenfalls ursprünglich gefordert) DREI Gutachter benötigt (oder zu benötigen vorgibt), um einen offenkundigen Antisemiten als solchen zu identifizieren, dann sind volltönende Zusicherungen, wie sie etwa am 19.06.2016 Frauke Petry und Albrecht Glaser auf Facebook verkündet hatten ("Antisemitismus sowie dessen Relativierung haben keinen Platz in der Alternative für Deutschland") komplett wertlos.

Gedeontenfaust, 3. Akt

Unter "AfD Baden-Württemberg: Eine Partei, zwei Fraktionen?" meldete die Rhein-Neckar-Zeitung am 09.07.2016:
"Die AfD-Fraktion [d. h. die Altfraktion] stellte klar, dass der Austritt des umstrittenen Abgeordneten Wolfgang Gedeon unumkehrbar sei. 'Die Causa Gedeon ist damit für die AfD-Fraktion abgeschlossen.' "

Das ist fies, ich weiß: Dass ich Ihnen das Ende des 3. Aktes unseres Dramas gleich am Anfang verrate.
Dabei war es doch gerade erst richtig spannend geworden, denn nur zwei Tage vorher hatte es noch geheißen (Südwest-Presse, "Abrechnung mit Meuthen: Alte AfD kritisiert 'autokratischen' Stil"; meine Hervorhebungen):
"Aus Sicht der alten AfD ist der Fall Gedeon nicht ausgestanden. „Wir werden weiter prüfen und kommen dann zu einem finalisierten Urteil“, sagte [Emil] Sänze. Gedeons Schriften seien von Nicht-Fachleuten nicht zu beurteilen. Auf die Frage, ob Gedeon wieder in die Fraktion eintreten könnte, sagte Sänze: „Das steht heute nicht zur Debatte, weil wir sonst vorgreifen würden.

Der erste Akt des Dramas hatte sich schon vollzogen, bevor die AfD überhaupt gegründet worden war: Dr. Gedeon hatte vor Jahren zwei Werke verfasst, deren Inhalt er noch heute vertritt und verteidigt.
In diesen hatte er Behauptungen aufgestellt, die von Beobachtern jetzt als antisemitisch eingestuft werden. (Vorher hatte wohl kaum jemand seine Opusse gelesen, bzw. - wie sogar ein Rezensent der Junge Freiheit - nicht gerade sorgfältig.)

Diesen Sachverhalt und die inhaltliche Bewertung habe ich in meinem Blott "AfD-MdL Dr. Wolfgang Gedeon: Antisemitisch oder "alles halb so schlimm"?" abgehandelt, wo ich mit eigenen Argumenten und Verweisen auf zahlreiche Artikel und Gutachten zu dem Schluss komme, dass Gedeon tatsächlich eine antisemitische Einstellung hat - also Antisemit ist.


Gegenstand des zweiten Aktes war das Bemühen von Prof. Meuthen als Vorsitzendem der Stuttgarter Landtagsfraktion der AfD, die Fraktion zum Ausschluss von Dr. Gedeon zu bewegen. Mein Textbuch dazu trägt den Titel Polito-Logische Überlegungen zum Verhalten von AfD-Politikern in der Causa Dr. Gedeon (vom 25.06.2016, aktuelle Fassung vom 27.06., also jedenfalls VOR der aktuellen Fraktionsspaltung). Es liefert eine chronologische Übersicht der Entwicklung bis zum Abfassungszeitpunkt (soweit ich sie aus den Medienberichten erschließen konnte), verbunden mit Bewertungen des Verhaltens der beteiligten AfD-Politiker.
(Ein gröberes Zeitschema, aber ohnehin mit anderer Schwerpunktsetzung, liefert auch der FAZ-Artikel "Chronologie der AfD-Querelen. Ein Jahr Petry, ein Jahr Streit" vom 07.07.2016.)

Prof. Meuthen wollte Dr. Gedeon sofort rauswerfen. Eine große Minderheit - mehr als 1/3 und damit eine Sperrminorität - der Fraktion wollte das nicht. Aus den Reihen der Rebellen war vorgeschlagen worden, wissenschaftliche Gutachten darüber einzuholen, ob Gedeon ein Antisemit sei oder nicht. Prof. Meuthen wollte das zunächst nicht akzeptieren, wurde dann aber durch eine Intervention von Frauke Petry überrumpelt - und damit war ein retardierendes Element in den 2. Akt eingebaut worden.
Den sichtbaren Teil der Intervention hat Frau Dr. Petry auf Facebook am 19.06.2016 veröffentlicht. Außer dieser öffentlich sichtbaren Intervention soll es Telefonate mit den Rebellen gegeben haben, insbesondere von Marcus Pretzell. Auch in diesen soll den Abgeordneten der Rücken gegen Meuthen gestärkt worden sein.

Ursprünglich sollte die Abstimmung über den Fraktionsausschluss am 21.06.2016 erfolgen. Meuthen hat sich dann aber doch auf die Einholung von Gutachten eingelassen (die Frauke Petry sowie Albrecht Glaser mit dem o. a. Facebook-Posting am 19.06. unterstützt hatten).
Meuthens Positionswandel war Teil eines Kompromisses, bei dem Dr. Gedeon die Mitgliedschaft in der Fraktion de facto - de jure geht das nicht - niederlegen sollte. Die Berichte über den Modus für die Auswahl der Gutachter waren zunächst unklar.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete seinerzeit:
"Wie Jörg Meuthen mitteilte, sollen nun drei externe Gutachter bestellt werden: einer von ihm selbst, einer von der Fraktion, einer von Gedeon. Mindestens einer solle "jüdischen Glaubens" sein, sagte Meuthen. Auf Basis der Gutachten soll die Fraktion nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause Anfang September über den Antrag auf Ausschluss Gedeons entscheiden."

Abweichend davon (und wohl zutreffender) vermittelt der Focus-Bericht "AfD sucht Gutachter im Fall Gedeon: vorerst keine Namen" vom 22.06.2016 den Eindruck, dass alle 3 Gutachter durch eine Findungskommission der Fraktion ausgewählt werden sollten (meine Hervorhebung):
"Im Fall des mit Antisemitismusvorwürfen konfrontierten AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon sucht die Fraktion in Stuttgart nach Experten für ein Gutachten. Eine Gutachterfindungskommission aus sieben Abgeordneten kam am Mittwoch zusammen, wie ein Sprecher der AfD-Fraktion sagte. Zu den Ergebnissen äußerten sich die Fraktionsmitglieder, darunter auch deren Chef Jörg Meuthen, zunächst nicht. Meuthen hatte sich dafür ausgesprochen, dass auch ein Experte jüdischen Glaubens daran mitarbeitet.
Dem Vernehmen nach sollen die Namen erst genannt werden, wenn die Gutachter auch zugestimmt haben."

In der Zwischenzeit (oder bereits vorher?) hatten allerdings zwei Abgeordnete privat Expertengutachten angefordert:
  • Eins (das wohl nicht veröffentlicht ist), stammt von Manfred Gerstenfeld aus Jerusalem, also mutmaßlich einem Juden. [Nachtrag: Rätselhaft: Dieses Gutachten wurde lt. dem u. g. Rundschreiben der "Neufraktion" durch Bernd Grimmer "vermittelt" (= bestellt?). Da der in der Altfraktion geblieben ist muss ich annehmen, dass er GEGEN den Fraktionsausschluss Meuthens gestimmt hat. Obwohl doch BEIDE Gutachten, also auch dieses, auf Antisemitismus erkennen. Was soll ich davon halten?]
  • Das weitere, ein Kurzgutachten des Dresdner Politologen Werner Patzelt, ist auf dessen Homepage online nachzulesen. Angefordert wurde es lt. Aussage von Prof. Meuthen in der bereits erwähnten Pressekonferenz (vom 05.07.2016) von der (aus Sachsen stammenden) Abgeordneten Claudia Martin; deren eindeutig anti-antisemitische Position wird hier erläutert.
Obwohl noch keine "offiziellen" Gutachten vorlagen, wurde in einer Fraktionssitzung am Dienstag, 05.07.2016 über den Fraktions-Ausschluss von MdL Dr. Wolfgang Gedeon abgestimmt. Über den Grund für diese Abweichung vom ursprünglich beschlossenen Vorgehen (Abstimmung Anfang September nach Vorliegen der einzuholenden drei Gutachten) klärt uns der FAZ-Bericht "AfD spaltet sich nach Antisemitismus-Streit" von Rüdiger Soldt vom 05.07.2016 auf (meine Hervorhebungen):
"Eine Findungskommission wurde beauftragt, drei unabhängige Wissenschaftler zu suchen. Die sollten Gedeons Schriften prüfen und ein endgültiges Urteil fällen, ob es sich um antisemitische Äußerungen handelt. Doch dieses Verfahren scheiterte, weil die Kommission sich auf die Benennung der Wissenschaftler nicht einigen konnte. Sie gab keine einziges Gutachten in Auftrag und sie hatte auch Mühe, einen Wissenschaftler zu finden, der testierte, was offensichtlich ist."

Ich vermute, dass die Gedeonten die Gutachtersuche fortsetzen wollten, Prof. Meuthen  aber das Vorliegen von nunmehr zwei Privatgutachten benutzte, um von der ursprünglichen Vereinbarung abzuweichen und mit der zu ihm haltenden Mehrheit eine Abstimmung zu erzwingen. Das erscheint mir legitim, weil eine weitere Verzögerung den Rufschaden für die AfD nur vergrößert hätte.

Vgl. zu den Problemen bei der Gutachterfindung auch den Artikel "Rechtspopulisten halbiert" in der Jüdischen Allgemeinen vom 06.07.2016, wonach sich sogar Frauke Petry eingeschaltet haben soll (meine Hervorhebungen):
"Beinahe verzweifelt hatte die Fraktion nach jüdischen Persönlichkeiten gesucht, die die Vorwürfe gegen Gedeon entkräften könnten. Unter anderem wurde Gerard Menuhin gefragt, der Sohn des berühmten Musikers Yehudi Menuhin und bekennender Rechtsextremist, der den Holocaust für »die größte Lüge der Geschichte« und Adolf Hitler für den Retter »vor der plutokratisch-jüdischen Gefahr« hält. Der Historiker Michael Wolffsohn, das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung und der Göttinger Politologe Samuel Salzborn wurden ebenfalls kontaktiert – teils von der Fraktion, teils von Petry persönlich. Alles erfolglos. Auch der Publizist Henryk M. Broder und der umstrittene Dresdner Politologe Werner Patzelt sollen gefragt worden sein."
Wobei ich bisher noch nicht gehört hatte, dass bei Gerard Menuhin tatsächlich angefragt worden wäre. Und selbst wenn das zutrifft, dann wohl kaum von der Fraktion, sondern allenfalls von einem Fraktionsmitglied. Auch kann ich die Behauptung nicht nachvollziehen, dass die "Fraktion nach jüdischen Persönlichkeiten gesucht [hat], die die Vorwürfe gegen Gedeon entkräften könnten". Denke nicht, dass Wolffsohn, Salzborn oder Broder, wenn sie ein Gutachten erstellt hätten, den Antisemitismus Gedeons verneint hätten. Und ebenso wenig glaube ich, dass die Gedeonten das bei diesen Personen erwartet hätten.
 
Wie auch immer: In der Pressekonferenz vom 05.07. berichtete Meuthen, dass eine Mehrheit von 13 Abgeordneten für den Ausschluss gestimmt habe; 9 mit nein und außerdem sei ein leerer Zettel (der im Ergebnis ebenfalls als Neinstimme zu werten war) abgegeben worden.
(Mithin haben alle 23 Abgeordneten der Gesamtfraktion abgestimmt, einschl. Dr. Gedeon, dessen Mitgliedschaft doch angeblich - faktisch - ruhen sollte. Vielleicht stammte der weiße Zettel von ihm?)
(Die Medien konnten sich zu diesen Vorgängen natürlich den Begriff "Meutherei" nicht verkneifen; "erfunden" wurde der aber wohl bereits am 10.06.2016  von Rainer Wehaus in den Stuttgarter Nachrichten.)

Anscheinend erst NACH dieser Abstimmung traf Frauke Petry in Stuttgart ein, "angeblich um Hilfe gerufen von Abgeordneten".
Im verlinkten SZ-Artikel "Game of Thrones - oder die vielen Alternativen für Deutschland" vom 06.07. erfahren wir außerdem: Als am Dienstag die Nachricht von der Spaltung bekannt wurde, machte sich Petry auf den Weg nach Stuttgart ...... Als Meuthen davon erfuhr, bat er den Pförtner des Königin-Olga-Baus, er möge Frau Petry den Zutritt verwehren. ..... Das Hausrecht hat aber die Landtagspräsidentin Muhterem Aras, und ein Hausverbot kann sie nur aussprechen bei einer Gefährdungslage."

Resultat war, dass Frauke Petry (gemeinsam mit den Rebellen?) Dr. Gedeon zum Austritt aus der Fraktion bewog.

In einer Parallelhandlung entfaltete sich jedoch schon die dramatische Katastrophe: Jörg Meuthen und seine 12 (symbolträchtige Zahl?) Jünger erklärten mit Gültigkeit ab Mitternacht ihren Austritt aus der AfD-Parlamentsfraktion. Sie wollten eine eigene Fraktion gründen.

Damit hat es freilich seine Schwierigkeiten, wie man z. B. in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 09.07.2016 unter "AfD Baden-Württemberg: Eine Partei, zwei Fraktionen?" nachlesen kann:
"Noch ist offen, ob AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen im Landtag eine eigene Fraktion gründen kann. Zwei Fraktionen von Mitgliedern einer Partei - in manchen Landtagen ist das explizit ausgeschlossen. In Baden-Württemberg gibt es keine Bestimmung dazu. Die Landtagsverwaltung verweist aber auf das Buch 'Das Recht der Parlamentsfraktionen' von Sven Hölscheidt, der ein 'Fraktionsvermehrungsverbot' begründet. Demnach ist eine Neubildung auch mit Blick auf die Kosten zu untersagen."
[Hier allerdings liest man: "Im Normalfall gilt ein 'Mehrungsverbot' – im Dissensfall aber können Abgeordnete, einer Partei auch mehrere Fraktionen bilden. Die Frage ist, ab wann das gilt – die Landtagsverwaltung will den Fall prüfen."]
"Den Steuerzahler würde eine weitere Fraktion rund 53 000 Euro im Monat kosten.
Ein Verbot soll zudem verhindern, dass sich eine Partei durch geschickte Aufteilung mehr Anteile bei Redezeiten oder Ausschusssitzen sichern kann. Auch wenn die Spaltung der AfD-Fraktion offensichtlich keine gezielte, einvernehmliche Trennung war: Ob die 14 Ausgetretenen sich zu einer neuen Fraktion zusammenschließen können, müssen Gutachter klären."
[Zu einem alten Präzedenzfall von zwei Fraktionen derselben Partei, und zwar damals im Bundestag, vgl. diesen Zeitungsbericht.]
Im Fortgang gibt der Bericht eine Vorschau auf den 4. Akt unseres Dramas, den großen Showdown auf der Ebene der Partei im LV BW:
"Angesichts der Krise will sich die AfD mit einem Landesparteitag bei ihren Mitgliedern rückversichern. Das Treffen werde vermutlich im September einberufen, sagte Fraktionsgeschäftsführer und Landessprecher Bernd Grimmer am Freitag in Stuttgart. Dabei sollten sich die Mitglieder zu dem Antisemitismus-Streit und seinen Folgen positionieren können."


Auftritt Meuthen

Zu vermuten ist, dass in der AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg ein Konflikt bereits vor den öffentlichen Vorwürfen gegen Gedeon schwelte.
Eine wichtige Frage, die ich aber naturgemäß nicht beantworten kann, wäre die nach der Ursache. Insofern sehe ich zwei mögliche Alternativen (die in der Realität natürlich nicht ebenso sauber voneinander geschieden sein müssen, wie das in der reinen Begriffswelt möglich ist):
  • politische Inkompatibilität.
  • Persönlichkeitsdifferenzen bei den Akteuren. (Wobei sich hier die weitere Frage nach der Schuldzuweisung anschließen würde.)
Schauen wir uns einfach mal einige Medienberichte dazu an, deren Grundlage eine Pressekonferenz vom Donnerstag 08.07.2016 sein dürfte; vgl. auch weitere Medienberichte vom gleichen Datum, z. B.: Junge Freiheit; Esslinger Zeitung).:

"Abrechnung mit Meuthen: Alte AfD kritisiert 'autokratischen' Stil", eine dpa-Meldung, hier in der Südwest-Presse 08.07.2016 (meine Hervorhebungen):
"Nicht nur der Fall Gedeon, sondern auch Kritik am Führungsstil von Ex-AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen hat zur Spaltung der AfD im Landtag geführt. Nach der Wahl eines neuen Vorstands der alten AfD werfen dessen Mitglieder Meuthen einen „autokratischen“ Führungsstil vor. Stets habe er sich in den Mittelpunkt gestellt. ..... Besonders geärgert hat die achtköpfige Gruppe um Merz, dass Meuthen sein politisches Schicksal an den Austritt des mit Antisemitismusvorwürfen konfrontierten Fraktionsmitglieds Wolfgang Gedeon geknüpft hatte. ..... Dass Meuthen die Fraktion später verlassen hatte, sei unverständlich, da mit Gedeons Austritt aus der Fraktion der Grund für die Abspaltung nicht mehr gegeben sei. Überdies habe Meuthen Absprachen in der Fraktion gebrochen und eine überhastete Abstimmung über den Verbleib Gedeons in der Fraktion durchgeführt.

Die Kleinparteienaktivistin Katharina Nocun, welcher in ihrer Piratenpartei wohl nicht sehr viele politische Erfolgserlebnisse beschieden sind, erkor sich die AfD zum Feind.

Aber die Rundmail der Altfraktion, die sie in ihrem Blog und in der Huffington Post veröffentlichte, dürfte echt sein. Jedenfalls erhebt sie inhaltlich die gleichen Vorwürfe, die auch in der PK der Altfraktionäre formuliert wurden. Merkwürdig ist zwar das in der Mail genannte Datum "Stuttgart, 06.11.2015", aber vielleicht entstammt das irgendeiner alten Datei-Vorlage, die der Mailschreiber verwendet (oder ein Zwischenträger in eine alte Vorlage übertragen) hat. Tatsächlich dürfte die Mail vom 07. oder 08.07. stammen, wir entnehmen ihr folgende Vorwürfe gegen Meuthen (Hervorhebungen im Original):
"Leider zeigte dieser Schritt auch, dass Herr Meuthen offensichtlich nicht willens war, weiter nach einer konsensorientierten Lösung zu suchen. Obwohl er um den Umstand wusste, dass in der Fraktion noch Uneinigkeit herrschte und er somit die Fraktion spalten würde, suchte er keine Einigung. Dies wirft auch die Frage nach der wahren Motivation auf und erinnert stark an Lucke 2.0. Dass eine für beide Seiten verträgliche Lösung nahelag, zeigte der später erfolgte Austritt von Herrn Dr. Gedeon, welchen er nach Gesprächen mit der Fraktion freiwillig vollzog."

Dass der Konflikt selbst nach Gedeons Austritt eben nicht ausgestanden war (und es somit keine "für beide Seiten" - und für die Partei! - verträgliche Lösung gab), zeigt eine weitere Information aus dem oben zitierten dpa-Bericht vom 08.07 in der Südwest-Presse (meine Hervorhebungen):
"Aus Sicht der alten AfD ist der Fall Gedeon nicht ausgestanden. „Wir werden weiter prüfen und kommen dann zu einem finalisierten Urteil“, sagte Sänze. Gedeons Schriften seien von Nicht-Fachleuten nicht zu beurteilen. Auf die Frage, ob Gedeon wieder in die Fraktion eintreten könnte, sagte Sänze: „Das steht heute nicht zur Debatte, weil wir sonst vorgreifen würden.“
Die Gedeonten hielten also zu diesem Zeitpunkt immer noch an ihrem fatalen Gutachten-Kurs fest.
Zwar ist auch dieser Punkt mittlerweile ausgeräumt (vgl. oben den Beginn vom 3. Drama-Akt). Aber man kann schon verstehen, dass Meuthen und die ihm (auch ohne den erst später Übergetretenen) gefolgte MEHRHEIT der Gesamtfraktionsmitglieder keine Fraktionsgemeinschaft mit denjenigen mehr haben mochten und mögen, die den Antisemitismus-Fall mit aller Gewalt und zum Rufschaden der Partei ursprünglich (und anfänglich sogar noch nach Gedeons Austritt) über längere Zeit am Köcheln halten wollten. Und dass (so jedenfalls meine Vermutung) die Mehrheit die Rädelsführer der Altfraktion konsequent aus einer neuen AfD-Fraktion heraushalten wollen.

"Herr Meuthen hat nach der Herbeiführung einer Spaltung leider keinerlei Versuche unternommen, die Fraktion durch einen wie auch immer gearteten Kompromiss zusammen zu halten.  Nun den verbliebenen Abgeordneten anzubieten, ebenfalls die AfD-Fraktion zu verlassen und sich seiner neu geschaffenen Gruppe anzuschließen, kann keine Lösung für die Alternative für Deutschland sein."
Welchen Kompromiss kann man eingehen mit Menschen, die einen Antisemiten partout in der Fraktion halten wollen? Wenn die Bemühungen um eine Einholung der offiziellen Gutachten scheitern? Auf ewig weitersuchen, zur Freude der Gegner und der Presse?
Und welchen Kompromiss mit Menschen, die das Richtige immer erst unter äußerstem Druck tun - und zu spät. Ohne die Fraktionsspaltung wäre Dr. Gedeon sicherlich nicht ausgeschlossen worden, und hätte sich die Gutachterfindung weiterhin hinausgezögert.
Jetzt können Meuthen und seine Neufraktionäre [nenne die Mehrheitsgruppe hier mal so, obwohl sie offiziell ja noch keinen Fraktionsstatus haben] den Bruch natürlich nicht rückgängig machen und nicht in die alte Hülle, die jetzt nur noch eine Minderheitsfraktion beherbergt, zurück kriechen.

"Wir wenden uns auch künftig dagegen, innerparteiliche Querelen auf dem Rücken Einzelner oder unserer Fraktion auszutragen."
Der von Meuthen geforderte Ausschluss eines Antisemiten war keine "innerparteiliche Querele". Und den Streit ausgetragen auf dem Rücken nicht nur der Fraktion, sondern der gesamten AfD hat die Minderheitsfraktion der Gedeonten, nicht Meuthen und die Fraktionsmehrheit.

"Ebenso lehnen wir es ab dies im Fokus der Medien zu tun."
Aber hallo: Wir sind eine Partei, und nicht die Verschwörergruppe der Weisen für Deutschland. Wenn die Fraktion beispielsweise abstimmt über einen Ausschluss, wenn sie die Einsetzung von Gutachtern beschließt, keine Gutachter findet usw. dann hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, das zu erfahren.

Zu den vermutlich bereits vorher bestehenden Spannungen in der Fraktion kamen Auseinandersetzungen im Bundesvorstand.
Am 24.05. hatte Meuthen die angeblich mangelnde Vorbereitung eines Gesprächs von Frauke Petry (und zwei weiteren Parteimitgliedern) mit Aiman Mazyek, dem Vertreter einer muslimischen Organisation, öffentlich kritisiert. Das hat auch mich irritiert, weil der Grund für den Gesprächsabbruch (nicht zurückgenommene Vergleiche der AfD mit den Nazis) stimmig war. Eine solche überzeugende Begründung darf man nicht öffentlich beschädigen.
Und das geschah anscheinend auch noch in Abstimmung mit Alexander Gauland, der dieselben Vorwürfe erhob.

Völlig unverständlich ist freilich, dass Prof. Meuthen sich parallel zu den Vorgängen in seiner Fraktion selber mit Frauke Petry angelegt hat. So berichtet etwa die Stuttgarter Zeitung am 17.06.2016 in dem Artikel "Krach in der AfD-Führung. Misstrauensvotum gegen Petry":
"Verwunderung löst in der Partei aus, dass die Angriffe gegen Petry zum jetzigen Zeitpunkt erfolgen. Denn einer der Petry-Kritiker hat gewaltigen Ärger im eigenen Landesverband. Meuthen hat seiner Fraktion mit Rücktritt gedroht, falls diese den AfD-Abgeordneten Wolfgang Gedeon wegen antisemitischer Äußerungen nicht ausschließt."

Der Bericht geht wohl auf ein Hintergrundgespräch zurück, dass (wenn man die u. a. Angabe in einen Kalendertag umrechnet) Meuthen und andere am 15.06.2016 mit Journalisten in Berlin geführt hatten:
"Putschversuch Nummer zwei: Meuthen gegen Petry. Am vergangenen Mittwoch war das Maß für Meuthen offenbar voll. Gemeinsam mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Alexander Gauland und dem thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke lud er ein Dutzend Journalisten, auch einen Redakteur der F.A.Z, in die Bibliothek des Berliner Cafés Einstein in der Kurfürstenstraße zu einem Hintergrundgespräch ein"
heißt es in dem FAZ-Artikel "In der Hitze der Macht" vom 20.06.2016.

Und dass Meuthen gar versucht hat, Frauke Petry für den Stuttgarter Landtag ein Hausverbot zu erteilen: Da kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln.

Zusammenfassend: Was immer in der Fraktion vielleicht vorher schon nicht rund lief (und ich nicht weiß): Ausgerechnet in dieser Situation noch einen Machtkampf mit Frauke Petry zu provozieren war definitiv KEIN Geniestreich von Meuthen.

Während also Meuthen insofern ziemlich unglücklich agiert hat, als er parallel zu seinen hausinternen Problemen einen Machtkampf mit Frauke Petry führen wollte, würde ich persönlich (viele andere sehen das anders) es ihm NICHT vorwerfen, dass er die Keule der Rücktrittsdrohung geschwungen hat, um die Fraktionsdisziplin gegen Gedeon herzustellen.
Denn dass sich "allein daraus ..... die gespaltene Meinung innerhalb der Fraktion" ergeben hätte, wie Frauke Petry am 19.06.2016 behauptete, ist schlicht falsch. Der Dissens war längst vorher da.
Die Drohung war zwar im unmittelbaren Sinne erfolglos, doch muss das nicht heißen, dass sie in jeder Hinsicht wirkungslos war. Hätte er ohne diese Drohung überhaupt nur die absolute Fraktionsmehrheit (12 weitere MdLs; für eine qualifizierte Mehrheit, also 16, hat es ja leider nicht gereicht) hinter sich gebracht?
Und was wäre die Alternative gewesen? Die Dinge laufen lassen? Die AfD in den Ruch kommen lassen, insgesamt eine antisemitische Partei zu sein? Darauf setzt insbesondere die scheinliberale CDU-Blinddarmpartei: "FDP-Chef Christian Lindner sieht in der Alternative für Deutschland eindeutig eine verfassungsfeindliche Partei".


Auftritt Petry

Auch aus meiner Sicht stellt sich die strategische (also langfristige) Interessenlage unserer AfD exakt so dar, wie zwei Journalisten es beschrieben haben (meine Hervorhebungen).

FAZ-Redakteur Jasper von Altenbokum (06.07.2016):
"Führungsstärke ..... hätte darin gelegen, Prioritäten zu erkennen, die von Anfang an nur darin liegen konnten, die Partei vor dem Antisemitismus Gedeons zu schützen."
Diese Einschätzung übt Kritik an dem Agieren von Frauke Petry in unserem Drama. Sie gilt freilich in gleicher Weise für die "Fraktions-Gedeonten".
Allerdings diagnostiziere ich keinen Mangel an "Führungsstärke", sondern an "parteistrategischem Denken"; die Meuthen-Gegner haben sich rein taktisch orientiert.


Das analysiert im Detail der WELT-Redakteur Matthias Kamann (ebenfalls am 06.07.):
"Kern dieser Krise ist, dass Meuthen und Petry unter kräftigem Mittun anderer AfD-Spitzenpolitiker ausgerechnet das für eine Rechtspartei tödliche Thema Antisemitismus zum Anlass nahmen, um persönliche Animositäten auszutragen. ..... Zu diesem Tohuwabohu kam es, weil Meuthen und Petry in dem Fall so agiert haben, wie es allen üblichen Erwartungen an Parteichefs widerspricht. Normalerweise hätten die zwei bei Aufkommen der Antisemitismusvorwürfe gegen Gedeon ja ihre gegenseitigen Aversionen hinunterschlucken müssen. Sie hätten sich wegen der Relevanz des Themas alle Pläne für Hinterhältigkeiten gegen den Kontrahenten für später aufsparen müssen, um aber in der konkreten Situation an einem Strang zu ziehen. Stattdessen ließ Meuthen noch vor dem Beginn der fraktionsinternen Gedeon-Kämpfe erst einmal Angriffe auf Frauke Petry und deren angebliche Pläne für eine alleinige Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl 2017 losbrechen. Zeitgleich meinte Petry, dem Südwest-Landes- und Fraktionschef Meuthen von außen Ratschläge für das richtige Verfahren im Fall Gedeon geben zu müssen."
Das Agieren von Frauke Petry in dieser Affäre beurteile ich also nach dieser Sicht der wohlverstandenen AfD-Interessen.


Am 19.06.2016 (also 2 Tage vor der damals für den 21.06. vorgesehenen Abstimmung über Gedeons Fraktionsausschluss) hatte Frauke Petry (gemeinsam mit Albrecht Glaser, ebenfalls ein BuVo-Mitglied) auf Facebook mit einem Appell "In Einheit gegen Antisemitismus" in die Stuttgarter Auseinandersetzung eingegriffen (meine Hervorhebungen):

"Antisemitismus sowie dessen Relativierung haben keinen Platz in der Alternative für Deutschland. Dies haben der gesamte Bundesvorstand, alle Landesvorsitzenden, zahlreiche Funktionsträger und Mitglieder in den letzten Tagen deutlich geäußert.
 
Auch die Fraktion im Baden-Württemberger Landtag hat dies einhellig erklärt und sich darauf geeinigt, die Äußerungen des Fraktionsmitgliedes Gedeon mittels eines wissenschaftlichen Gutachtens überprüfen zu lassen und anschließend einen Beschluss über den Ausschluss aus der Fraktion herbeizuführen. Diese Verfahrensweise ist vom Fraktionsvorsitzenden Jörg Meuthen überraschenderweise nicht eingehalten worden. Statt dessen hat er medienöffentlich mitgeteilt, dass er sein Amt als Fraktionsvorsitzender im Landtag aufgeben werde, wenn die erforderliche Zweidrittelmehrheit zum sofortigen Ausschluss von Herrn Dr. Gedeon aus der Fraktion nicht zu Stande komme. Diese persönliche öffentliche Festlegung erfolgte ohne vorherigen Kontakt mit der Fraktion.
 
Durch diese Vorgehensweise wurde die Causa Gedeon von der Sachebene auf die persönliche Ebene verlagert. Allein daraus ergab sich die gespaltene Meinung innerhalb der Fraktion. Dass sich aus diesem Vorgang keine wirkliche Spaltung der Fraktion entwickeln darf, ist ungeteilte Meinung aller Verantwortungsträger innerhalb der AfD. Eine solche Schwächung der politischen Kraft der AfD in Baden-Württemberg würde der Partei insgesamt großen Schaden zufügen.
 
Neben der Feststellung, dass Äußerungen wie die von Herrn Gedeon keinen Platz in der AfD haben, geht es aber auch darum, ordnungsgemäße Verfahrensweisen einzuhalten und gemeinsame Absprachen zu respektieren. Der Preis für den Ausschluss von Gedeon darf nicht die Spaltung der Landtagsfraktion sein und um es klar zu sagen, das muss es auch nicht.
 
Ich bitte daher Jörg Meuthen, zur früheren Verabredung mit der Fraktion zurück zu kehren, um Schaden von der Partei fern zu halten. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Fraktion sodann geschlossen agieren wird. Nach meiner festen Überzeugung ist niemand in der Fraktion bereit, virulenten Antisemitismus in ihren Reihen zu dulden. Allerdings verlangen weitreichende Personalentscheidung geordnete und seriöse Formen der Aufklärung von Sachverhalten, aus denen solche Konsequenzen abgeleitet werden.
 
Ich stehe Jörg Meuthen auf diesem Weg gern zur Seite und erhalte mein Angebot zur Hilfe bei der Klärung dieser für die Partei existenziellen Frage aufrecht.
 
Diese Erklärung wird vollumfänglich von meinem Stellvertreter Albrecht Glaser getragen."

Außer dieser öffentlich sichtbaren Intervention soll es Telefonate mit den Rebellen gegeben haben, insbesondere von Marcus Pretzell. Weil ich darüber nichts Sicheres weiß, beschränke ich mich hier darauf, den Inhalt und die Zielsetzung des Facebook-Postings zu bewerten:
  • "Einheit" hört sich gut an; aber außer Albrecht Glaser hatte sich niemand aus dem AfD-Bundesvorstand (BuVo) ihrem Appell angeschlossen. Und für Prof. Meuthen kam er ausgesprochen unerwünscht. Der war wohl schon damals entschlossen, einige inakzeptable Elemente aus der Fraktion auszuschwitzen.
  • Aus meiner Sicht wäre deshalb ein Eingreifen von Frauke Petry GEGEN den Willen von Prof. Meuthen nur dann legitim gewesen, wenn sie eine Mehrheit im restlichen Bundesvorstand hinter sich gehabt hätte. Das war aber nicht der Fall; die Mehrheit stand auf Meuthens Seite.
  • Eine Vereinbarung zur Einholung von Sachverständigengutachten gab es seinerzeit nicht; die war lediglich von einigen VORGESCHLAGEN, aber nicht beschlossen worden. Dazu erfährt man in diesem Bericht des SWR vom 20.06.2016 (meine Hervorhebung): "Emil Sänze, Rainer Balzer und Bernd Grimmer bedauerten in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass Meuthen ihrem Vorschlag nicht gefolgt sei, die Antisemitismusvorwürfe gegen Gedeon 'durch ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten' prüfen zu lassen."  [Mittlerweile ist der Eintrag verschwunden; wohl weil die ÖR-Rundfunksender aus Konkurrenzgründen ihre Beiträge nach einiger Zeit löschen müssen. Aber dort kann man den Sachverhalt ebenfalls nachlesen.]
  • Wer in einem derart klaren Fall von Antisemitismus wie diesem noch Gutachten anfordern will und das auch noch als angeblich "ordnungsgemäßes Verfahren" bezeichnet, der diskreditiert sich als Politiker selbst. Weil er entweder zu einfältig ist, um den "Elefant im Zimmer" zu sehen, oder weil er ihn aus taktischen Gründen mit Schleiern verhängen will. BEIDES ist für mich inakzeptabel bei hochrangigen AfD-Politikern.
  • Die implizite Behauptung, erst durch ein Gutachten könne man Gedeons eventuellen Antisemitismus erkennen, degradiert hehre Beteuerungen wie "Antisemitismus sowie dessen Relativierung haben keinen Platz in der Alternative für Deutschland" zur unglaubwürdigen Lachnummer.
Man muss Frau Dr. Petry keine "niederen" Motive (Machtkampf) unterstellen, um ihr Verhalten zu kritisieren.
Es sei ihr gerne zugestanden, dass sie in Sorge um die Einheit der Fraktion (und ggf. sogar der Partei) gehandelt hat (vgl. den sachbezogenen Teil des Berichts der Südwest-Presse vom 07.07.2016 "Ringen um gespaltene AfD wird zum Machtpoker").
Dennoch war es falsch.
Die Fraktionseinheit, und selbst die Einheit der Partei, ist kein Wert an sich.
Groß ist nicht immer gut - wie wir ganz extrem an der Europäischen Währungsunion sehen, oder wie man früher bei der UdSSR erkennen konnte.
Antisemiten auf der Ebene von Abgeordneten zu haben, ist ein fürchterliches Bleigewicht am Bein der Partei.
Die CDU hatte ihren Fuldaer Abgeordneten Martin Hohmann vor längerer Zeit in einem weit weniger eindeutigen Fall aus der Partei ausgeschlossen, und diese Entscheidung hatte auch vor zivilen Gerichten Bestand. Und natürlich hat die CDU-Führung seinerzeit KEIN Gutachten benötigt, um ihre Entscheidung zu treffen. (Martin Hohmann soll zur Bundestagswahl 2017 wohl für die AfD Hessen kandidieren, was ich, auch wenn der damalige Antisemitismus-Vorwurf auf schwachen Beinen stand, aus Parteisicht für denkbar dumm halte.)

Bei der Abwahl von Prof. Lucke war die AfD sehr viel existenzieller bedroht als sie es ggf. jetzt in Stuttgart durch die Fraktionsspaltung ist. Trotzdem haben wir entschieden, dass wir ihn nicht mehr haben wollen.
Und das war auch gut so.
Nur müssen wir gegen Antisemiten dieselbe Entscheidung treffen: Dass wir die definitiv nicht haben wollen!

Hätte Frauke Petry gleich zu Beginn den "Rebellen" in Stuttgart ins Gewissen geredet (sich also insoweit auf die Seite von Meuthen geschlagen), dann hätten die sich nach meiner Einschätzung nicht getraut, Gedeon zu schützen.
Nur weil sie (zumindest subjektiv) den Eindruck haben konnten, dass Frauke Petry ihnen den Rücken stärken wollte, haben sie sich auf die Hinterbeine gestellt.

Gewiss: Auch dann hätten nicht alle der jetzigen Rebellen für Meuthen gestimmt. Und es wäre vielleicht schon damals zu einer Ab-Spaltung der Hardcore-was-auch-immer-Leute gekommen. Aber diese Abspaltung wäre für unsere AfD nur GUT gewesen! (Ich glaube übrigens auch nicht, dass Meuthen ALLE Altfraktionäre wieder in die neue Fraktion aufnehmen würde; ansonsten wäre seine Glaubwürdigkeit arg lädiert.)

Auf jeden Fall stehen wir jetzt da, wo wir im ungünstigsten Falle schon Anfang Juni gestanden hätten. Wenn FP nicht zu Gunsten der Gutachteneinholung interveniert hätten, und damit für ein Verfahren, dass die Sache auf die lange Bank schieben musste.
Vielleicht wäre der weitere Verlauf besser gewesen (und hätte eine qualifizierte Mehrheit Gedeons Ausschluss beschlossen). Vielleicht auch nicht.
Aber SCHLECHTER als jetzt hätte es auch nicht kommen können.
Nur hätte sich das dann nicht noch länger hinausgezögert.

 

Auftritt Gedeontenschar

Der bereits oben zitierte WELT-Redakteur Matthias Kamann hatte die Motive der Gedeon-Unterstützer am 20.06.2016 so beschrieben:
"... in der AfD-Landtagsfraktion gibt es zwei inhaltliche Gegenpositionen zu Meuthen. Einige Abgeordnete meinen, dass Buchpassagen von Gedeon über angebliche jüdische Herrschaftspläne zwar grotesk, aber strafrechtlich nicht relevant und daher zumindest vorerst hinzunehmen seien. Eine zweite Gruppe glaubt in Gedeons Thesen nichts Antisemitisches finden zu können und verlangt ein wissenschaftliches Gutachten zum Beweis des Gegenteils."
[Beiläufig widerlegt das auch die o. a. Facebook-Behauptung von Frauke Petry, dass der Dissens in der Faktion erst durch Meuthens Rücktrittsdrohung entstanden sei!]
Kurz gefasst
  1. dürfen also nach Meinung einiger Gedeonten AfDler (selbst Landtagsabgeordnete) jeden Müll verbreiten. Hauptsache, er ist nicht strafbar.      Ich möchte diese Pharisäer mal sehen, wenn ein AfD-Mandatsträger Straffreiheit für Pädophile fordern würde: Da würden diese Helden der Meinungsfreiheit ganz anders reden! Aber Antisemitismus lässt die gleichgültig: Peinlich für diejenigen, die diese Meinung haben. Und peinlich für unsere gesamte Partei!
  2. sind andere Gedeonten schlicht zu einfältig, um offenkundigen Antisemitismus als solchen zu erkennen.      Dann stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Parteifreunde in BW ihre Landtagskandidaten ausgesucht haben? Diejenigen mit dem niedrigsten Polit-IQ sind die geeignetsten Kandidaten?
  3. Nach meiner Einschätzung kommt allerdings noch ein drittes Motiv hinzu: Die Wagenburg-Mentalität. Viele werden die Anschuldigungen gegen Gedeon quasi als Machenschaften unserer Gegner ansehen, gegen die wir zusammenhalten müssen. Das ist freilich ein unsouveränes Re-Agieren auf den Gegner. Wenn jemand einen Sachverhalt aufdeckt oder anprangert, dann ist es zunächst einmal egal, ob der ein Freund oder Gegner ist. Entscheidend sollte lediglich sein, ob er Recht hat - oder nicht. Rein aus Trotz die Reihen um einen Unwürdigen zu schließen, bringt gar nichts. Vielmehr sollten wir uns daran erinnern, die Angela Merkel gegen Helmut Kohl verfahren ist, und wie die CDU Hessen in ihrem Spendenskandal "brutalstmögliche Aufklärung" betrieben hat. Wollen wir eine saubere Partei sein, die selbstverständlich innerparteilich solidarisch ist - bei UNGERECHTFERTIGTEN Angriffen? Oder wollen wir ein Gang von Kumpanen sein, die darauf scheißt, was jemand ggf. "verbrochen" hat, und nach dem Motto "Right or wrong, my party" agieren? Da wäre unser Vorsatz, AUFRICHTIGER zu sein als die Blockparteien, ja noch schneller dahin geschmolzen wie Schnee in der Sonne?
Im Tagesspiegel vom 05.07.2016, "AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag spaltet sich - Petry redet mit Gedeon" lesen wir mit Bezug auf die Abstimmung an diesem Tage:
"Gedeon ..... habe nicht ausreichend Fairness erfahren, sich zu verteidigen, sagen seine Unterstützer, und dass die vorgelegten Gutachten von Einzelmitgliedern der Fraktion und nicht vom dafür bestimmten Gutachterausschuss bestellt worden seien. Tatsächlich hatten sich viele seriöse Institute und Wissenschaftlicher entweder vorab exponiert oder ein Gutachten im Auftrag der AfD ganz grundsätzlich abgelehnt."

Mittlerweile dreht sich die Gedeontenschar freilich doch noch in die richtige Richtung:
  1. Auf Einholung eigener Gutachten wird verzichtet und
  2. Dr. Gedeon bleibt auf Dauer ausgeschlossen (d. h. er wird nach seinem freiwilligen Austritt nicht wieder in die Fraktion aufgenommen.
Doch für Reue ist es, in dieser Hinsicht, nun zu spät.
Warum nicht gleich so? Warum war vorher falsch, was jetzt auf einmal als richtig erkannt wird? In der Sache ist die Entscheidung natürlich richtig. Aber die Glaubwürdigkeit der 8 Wetterfähnchen ist nunmehr vollends ruiniert.

Und die sind mittlerweile sogar noch weiter: "AfD-Fraktion empfiehlt Ausschlussverfahren gegen Gedeon" meldet ein kurzer Text in der WELT vom 12.07.2016:
"Die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag empfiehlt dem AfD-Landesvorstand ein Parteiausschlussverfahren gegen ihr früheres Mitglied Wolfgang Gedeon. Im Rahmen dessen könnten die Antisemitismus-Vorwürfe gegenüber Gedeon abschließend geklärt werden, teilte die im Landtag verbliebene Fraktion am Dienstag in Stuttgart mit."

Damit haben sich die (noch) 8 Kumpane endgültig um jeglichen Rest von Glaubwürdigkeit gebracht.
Erst wollen sie Gedeon nicht ausschließen, weil sie nicht wissen (wollen) ob (dass) er ein Antisemit ist. Und wollen weitere Gutachten einholen.
Und plötzlich wollen sie nicht nur keine Gutachten einholen und Gedeon definitiv nicht mehr wieder in die Fraktion aufnehmen: Jetzt wollen sie ihn sogar aus der Partei ausschließen!

In der Sache ist das natürlich ebenfalls richtig. Aber die "Achterbande" müssten nicht die Politioten sein, die sie leider sind, wenn sie nicht auch diese Meldung in gewisser Hinsicht wieder "vergeigt" hätten:
"könnten die Antisemitismus-Vorwürfe gegenüber Gedeon abschließend geklärt werden".
Damit hat die Aussage der Pressemitteilung folgenden sachlichen Gehalt:
  • 'wir sind (noch immer) nicht sicher, ob Gedeon wirklich ein Antisemit ist. Also wollen wir, dass ein Parteiausschlussverfahren diese Frage endgültig klärt'.
Das ist zum einen ein Missbrauch der innerparteilichen Schiedsgerichte. Die sind nicht dafür da, Streitfragen dieser Art zu "klären".
Und zum anderen ist es ungeheuerlich, Ausschlussverfahren gegen Parteimitglieder einleiten zu wollen, wenn man sich nicht einmal sicher ist, ob die überhaupt Verfehlungen begangen haben.

Da fragt man sich, ob diese Entscheidung nicht nach dem Motto gefallen ist:
  • Dresda locuta, causa finita! - ???
Die "abschließende Klärung" hätten die 8 Stuttgarter Politintelligenzler dann aus eigener Erleuchtung drangehängt.


Fazit

Zentral bei der Beurteilung der Streitigkeiten über die Zugehörigkeit von Dr. Gedeon zur Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) (und um seine Parteimitgliedschaft) ist für mich das strategische (nicht ein ggf. davon abweichendes kurzfristiges) Wohl der Partei. Das heißt für mich:
  •  den Antisemiten Dr. Gedeon rauszuwerfen und
  • b) damit
  • aa) Gleichgesinnten vors Schienbein treten, die es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch in die AfD geschafft haben sowie
  • bb) außenstehende Interessenten gleicher Gesinnung abschrecken, die sich ansonsten von uns angelockt fühlen könnten ("Bei denen darf man alles sagen .....").
  • c) Den Wählern glaubwürdig zu demonstrieren, dass wir Antisemiten
  • aa) erkennen und
  • bb) nicht in der Partei tolerieren.
Der Antisemitismus von Dr. Gedeon ist völlig offenkundig (vgl. meinen Blott mit weiteren Links http://blockiblocker.blogspot.de/2016/06/afd-mdl-dr-wolfgang-gedeon.html); da muss ich Alexander Gauland Recht geben, dass es keines Gutachtens bedarf, um diesen festzustellen.

Es wirkt auch unglaubwürdig, wenn wir vollmundig behaupten, dass A. bei uns keinen Platz habe, wir aber andererseits mit Gutachten rumeiern, wo ein eindeutiger Fall von Antisemitismus vorliegt. Das hat nichts mit "ordnungsgemäßem Verfahren" zu tun; das ist ein Hinauszögern, das lediglich dem politischen Gegner (und ggf. Gedeon + Anhang) nützt. Und es könnte gut sein, dass uns das bei anderer Gelegenheit auf die Füße fällt (gewissermaßen als Präzedenzfall).

Die Einheit der Fraktion wurde so oder so nicht gewahrt; im günstigsten Falle war Petrys Intervention also erfolglos. Unsere Partei ist hochgradig blamiert und diskreditiert, nachdem 10 (bzw. ohne Gedeon selber: 9) von 23 Abgeordneten trotz zweier vorliegender Gutachten (auch wenn die beide nicht "ordnungsgemäß" zustande gekommen sein mögen) sich nicht dazu durchringen konnten, einen Antisemiten rauszuwerfen. Das ist ein ungeheuerlicher Skandal und eine ewige Schande für unsere Partei.

Ich persönlich glaube dass Petry dieses verheerende Ergebnis durch eine von Anfang an klare Positionierung hätte abwenden können. Aber selbst wenn nicht: Schlechter als jetzt wäre das Ergebnis auch nicht geworden. Und für mich - andere mögen das anders sehen - wäre eine Abspaltung einiger schräger Vögel kein Verlust, sondern ein Gewinn für unsere Partei gewesen.

Andererseits ist mir natürlich klar, dass viele von denen, die sich jetzt gegen Petry stellen (u. a. sogar Hans-Thomas Tillschneider), das nicht aus Liebe zu Meuthen tun, oder aus - emotionaler oder rationaler - Empörung über Antisemiten bei uns. Sondern weil die die Hoffnung hegen, sie zu stürzen und anschließend die AfD mehr nach rechts rücken zu können. Was ich ganz gewiss nicht will.


Der 4. Akt unseres Dramas erscheint im Herbst (vielleicht zur Buchmesse? :-) ).
"AfD plant Landesparteitag" meldet die Stuttgarter Zeitung am 10.07.2016.


Nachträge 13.07.2016, 23.50 h

"Als Gedeon abtritt, gibt es demonstrativen Applaus von einigen Mitgliedern der Rest-AfD" berichtet die Stuttgarter Zeitung über eine Landtagsdebatte vom heutigen Tage ("AfD applaudiert Gedeon immer noch"). (Erg. 14.07.: Der Beifall kam von -4- Abgeordneten der Altfraktion.)
Es liegt auf der Hand, dass Meuthen und seine "Neufraktion" mit den Claqueuren eines Antisemiten keine Fraktionsgemeinschaft mehr eingehen wollen und können.

Unter "Antisemitismus-Vorwürfe: AfD-Chef strebt Ausschluss von Gedeon an" meldet der SPON am 13.07. (meine Hervorhebung): "Die AfD hat nach Angaben ihres Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen ein Ausschlussverfahren gegen Wolfgang Gedeon eingeleitet. Der Landesverband Baden-Württemberg, dem Gedeon angehört, habe diesen Schritt am Dienstagabend unternommen, sagte Meuthen im Stuttgarter Landtag."


Nachträge 14.07.2016

"Wolfgang Gedeon – Von der KPD/ML zum Rechtsaußen in der AfD. Interview des Roten Morgen mit Genossen Winnie aus Gelsenkirchen" berichtet über die linksextremen Anfänge von G.

"Wolfgang Gedeon – kein Einzelfall" beschreibt das (aus Sicht seiner ehemaligen maoistischen Gesinnungsgenossen) Abgleiten von Gedeon erst ins Esoterische, und dann zur AfD.


Nachtrag 19.07.2016

Am 16.07.2016 erschien auf der Internet-Seite "Freie Welt" (Zivile Koalition, Beatrix von Storch) unter dem Titel "Mut zum Rauswurf. AfD: Gedeon allein ist nicht das Problem" ein Kommentar von einem Karsten Dustin Hoffmann zu diesem Thema. Seine Meinungen decken sich mit denjenigen, die ich selber von Anfang an in dieser Sache vertreten habe:
"Der Fall Gedeon war eine Chance. Er war eine Chance der Welt zu zeigen, dass die AfD nicht so ist, wie ihre Kritiker immer wieder behaupten. Er war eine Gelegenheit zu zeigen, dass die Partei konsequent gegen alle innerparteilichen extremistischen Tendenzen vorgeht. Jörg Meuthen hat diese Chance erkannt und früh reagiert. Das Einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist, dass er sich im Hinblick auf die Seriosität einiger Fraktionskollegen offenbar deutlich geirrt hat. ..... Die Argumente der Unterstützer Gedeons sind bisweilen abstrus. Schon das Inauftraggeben dreier wissenschaftlicher Gutachten ist eine Farce ..... Wer sich für geeignet hält, die Interessen der Menschen in einem Landesparlament zu vertreten, der sollte in der Lage sein, einen antisemitischen Text als solchen zu erkennen. Noch merkwürdiger ist die Argumentation, es gehe den verbliebenen Abgeordneten um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Hätten sie genauso reagiert, wenn Gedeon die Abschaffung Deutschlands oder die Einführung der Scharia gefordert hätte? Es ging zu keinem Zeitpunkt um die Meinungsfreiheit. Niemand hat Gedeon verboten, seine unter falschem Namen erschienenen Schriften zu verbreiten. Es geht allein um die Frage, wie die Partei zu seinen Positionen steht. Indem sie gegen den Ausschluss Gedeons stimmten, fügten die Mitglieder der Rest-AfD-Fraktion der Gesamtpartei schweren Schaden zu. ..... Zukünftig wird an jedem Infostand das Argument kommen, die Partei dulde Antisemiten in ihren Reihen. Der Austritt Meuthens und seiner Gefolgsleute aus der alten AfD-Fraktion war der richtige Schritt. Nicht Meuthen ist der Spalter, sondern die Abgeordneten, die sich entgegen der Parteilinie weigerten, einen Antisemiten aus der Partei auszuschließen. 
Nicht wenige AfD-Mitglieder vertreten den Standpunkt, die zerstrittenen Fraktionsteile sollten sich zusammenreißen, persönliche Konflikte beilegen und sich wiedervereinen. Das ist nur allzu verständlich, denn niemand wünscht sich eine zerstrittene Partei. Aber die Realisierung dieser Wunschvorstellung ist ziemlich unwahrscheinlich. Die Gräben sind bereits tief. Durch eine Rückkehr in die alte AfD-Fraktion würden Meuthen und seine Gefolgsleute ihr Gesicht verlieren. Aber vor allem geht es in diesem Fall keineswegs um Macht, Posten und Persönliches, sondern um eine grundlegende politische Frage, und deswegen ist eine Positionierung in diesem Konflikt unerlässlich. ..... Jeder hat das Recht auf Irrtum, auch ein Abgeordneter. Es zeugt von Größe, dass Meuthen die Türen für die verbliebenen AfDler offen hält. Wer aber diese Chance nicht ergreift, der gehört achtkantig aus der Partei geworfen! Und wenn mit dem Gedexit eine nennenswerte Zahl von Mitgliedern die Partei verlässt, dann sollte niemand darüber traurig sein. Eine solche Abspaltung der Unverbesserlichen wäre das Beste was der Partei passieren kann."
 

Hinweis: Mein Text darf ganz oder teilweise gerne weiterverbreitet werden.

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Die "Neufraktion" hat jetzt ein Rundschreiben an alle Parteimitglieder verschickt, um ihr Verhalten zu erklären.
Da eine Rundmail an 20.000+ Parteimitglieder ohnehin nicht geheim bleibt (und mittlerweile tatsächlich bei Facebook schon geteilt wurde) drucke auch ich den Text hier ab:
 
 
"Liebe Mitglieder der AfD,

wir, die Abgeordneten der Fraktion Alternative für Baden-Württemberg (in Gründung) im Landtag von Baden-Württemberg, wenden uns heute mit dieser Nachricht an Sie. Wir möchten Ihnen darlegen, warum wir so gehandelt ha­ben, wie wir es getan haben und warum wir so handeln mussten.

Mitte Mai wurde über die Medien der Vorwurf erhoben, dass der Abgeordnete Dr. Wolfgang Gede­on in seinen 2009 und 2012 erschienenen Büchern antisemitisches Gedankengut vertreten würde. Diese Vorwürfe wurden auch mit einer Vielzahl von Zitaten aus Gedeons Büchern belegt.

Die Fraktion beriet Anfang Juni über einen Ausschluss Gedeons und brachte den Antrag hierzu auf den Weg. Die Abstimmung selbst wurde schließlich für den 21. Juni anberaumt. Hierzu meldete sich auch der Landesvorstand mit einer Erklärung zu Wort:

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachfolgend der Beschluss des AfD Landesvorstandes Baden-Württemberg von der Sitzung vom 18.06.2016:

Der Landesvorstand hat heute entschieden, der einstimmig erfolgten Bitte des Bundesvorstandes zu entsprechen und in die Prüfung von Ordnungsmaßnahmen gegen Dr. Wolfgang Gedeon einzutreten. Dies ist noch nicht die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens, sondern die Prüfung der Einleitung eines solchen Verfahrens.

Zugleich fordert der Landesvorstand Herrn Dr. Gedeon auf, im Interesse der Gesamtpartei aus eigener Entscheidung noch vor der Fraktionssitzung am kommenden Dienstag die Landtagsfraktion zu verlassen.

Für den Fall, dass Herr Dr. Gedeon dies nicht tut, empfiehlt der Landesvorstand der Landtagsfraktion, am kommenden Dienstag in der Fraktionssitzung Herrn Dr. Gedeon per satzungsgemäßem Beschluss aus der Fraktion auszuschließen.

Auf der Fraktionssitzung am 21. Juni überraschte Wolfgang Gedeon die Fraktionskollegen mit dem Angebot, seine Mitgliedschaft in der Fraktion bis Anfang September ruhen zu lassen, um so der Fraktion Zeit zu geben, Gutachten über seine Bücher im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe ein­zuholen. Fragen, ob ein Ruhenlassen der Fraktionszugehörigkeit überhaupt rechts- und satzungsmä­ßig möglich wäre, wurden von Teilen der Fraktionsführung bejaht. Die Fraktion stimmte daraufhin dem Vor­schlag Dr. Gedeons zu.

Schon kurz darauf stellte sich jedoch heraus, dass es ein Ruhenlassen der Fraktionszugehörigkeit gemäß der Geschäftsordnung des Landtags nicht gibt und dass auch die Satzung unserer Fraktion dies nicht vorsieht. Dr. Gedeon war somit aus rechtlicher Sicht weiterhin volles Mitglied der Fraktion, saß im Parlament bei der AfD-Fraktion, äußerte sich über die Presse und schloss nicht aus, sich auch weiterhin mit Redebeiträgen im Parlament zu beteiligen. Außerdem gestaltete sich die Suche nach Gutachtern weitaus schwieriger als vermutet.

Einige der angefragten Gutachter lehnten es ab, überhaupt für die AfD tätig zu werden, andere lehnten ab, weil sie es für sinnlos hielten, ein Gutachten für einen Sachverhalt zu er­stellen, der ohnehin bereits hinreichend klar sei. Nach mehr als einer Woche war noch kein Gut­achter gefunden. In der Fraktion setzte sich die Ansicht durch, dass wegen der unveränderten Zuge­hörigkeit Dr. Gedeons zur Fraktion und der scheinbaren Unmöglichkeit, renommierte Gutachter zu fin­den, nun doch zeitnah über den Verbleib Dr. Gedeons in der Fraktion abzustimmen sei. Die Fraktion entschied mit deutlicher Mehrheit, dass bis Montag, den 04.07.2016 drei Gutachter benannt sein müssten, sonst würde man am nächsten Tag über den Ausschluss Dr. Gedeons abstimmen. Aus diesem Grund wurde Dr. Gedeon auch zu der anberaumten Fraktionssitzung am 05.07.2016 eingeladen.

Zuvor gelang es zwei Abgeordneten, immerhin noch Kurzgutachten in Auftrag zu geben. Diese wurden den Fraktionskollegen einen Tag vor der Abstimmung zugeleitet. Es waren die Gutachten von Prof. Dr. Werner Patzelt (TU Dresden – vermittelt durch Claudia Martin) und von Manfred Gerstenfeld (Jerusalem Center for Public Affairs – vermittelt durch Dr. Bernd Grimmer).
[Hervorhebung von mir.] Sie finden beide Gutachten im Anhang.

Bei der Abstimmung stimmten 13 Abgeordnete gegen den Verbleib Gedeons in der Fraktion, 9 stimmten dafür und einer enthielt sich. Somit war die für den Ausschluss notwendige 2/3-Mehrheit verfehlt worden. Für diesen Fall hatte Prof. Dr. Jörg Meuthen bereits zuvor seinen Austritt aus der Fraktion angekündigt. Es entschlossen sich außerdem die Abgeordneten Anton Baron, Lars Patrick Berg, Dr. Heinrich Fiechtner, Stefan Herre, Dr. Heinrich Kuhn, Claudia Martin, Thomas Axel Palka, Dr. Rainer Podeswa, Daniel Rottmann, Udo Stein, Klaus-Günther Voigtmann und Carola Wolle zu diesem Schritt. Hierzu stellen wir fest:

- Warum haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen? Die Gutachten von Herrn Patzelt und Herrn Gerstenfeld ließen keinerlei Zweifel mehr an der antisemitischen Einstellung Dr. Gedeons. Eine weitere Mitglied­schaft Dr. Gedeons in der Fraktion war damit gleichbedeutend mit der Duldung antisemitischer Einstel­lungen in der Fraktion und damit in der gesamten AfD. Wir waren daher mehr als entsetzt, dass sich dennoch außer Dr. Gedeon selbst noch 9 weitere Abgeordnete gefunden haben, die seinen Verbleib in der Fraktion befürworteten. Ein sofortiger Austritt aus dieser Fraktion war für uns alle selbstverständlich.

- Von einigen Mitgliedern wurde uns vorgeworfen, wir würden demokratische Entscheidungen nicht respektieren, weil wir die Entscheidung zum Verbleib Dr. Gedeons nicht hingenommen hätten und aus der Fraktion ausgetre­ten sind. Dies ist nicht richtig. Selbstverständlich akzeptieren wir diese Entscheidung. Sein Verbleib in der Fraktion ist demokratisch entschieden worden. Wir haben aber in Ausübung unseres freien Mandats entschieden, dass wir nicht weiter mit Abgeordneten zusammenarbeiten wollen, die Antisemitismus nicht erkennen oder tolerieren. Wir haben nicht die Partei verlassen, sondern lediglich die Landtagsfraktion.

- Die Richtigkeit unseres Vorgehens wurde umgehend vom Bundesvorstand der AfD in einer Telefonkonferenz (bei einer Anwesenheit von 10 von 13 Mitgliedern) mit einem einstimmigen Beschluss bestätig

1. Der Bundesvorstand erinnert an seinen Beschluss, dass Antisemitismus keinen Platz in der AfD hat.

2. Der Bundesvorstand missbilligt aufs Schärfste die Entscheidung derjenigen Mitglieder der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, die den Ausschluss von Wolfgang Gedeon aus der Fraktion verhindert haben. Diese Mitglie­der akzeptieren den Verbleib eines Abgeordneten in der Fraktion, dessen Schriften eindeutig antisemitische Aussagen enthalten

3. Der Bundesvorstand begrüßt die Entscheidung unseres Bundesvorsitzenden Prof. Dr. Jörg Meuthen MdL und weite­rer AfD-Abgeordneter, nicht mit diesen Abgeordneten in einer Fraktion zu verbleiben.

4. Der Bundesvorstand distanziert sich von denjenigen Mitgliedern der Fraktion, die nicht mit Jörg Meuthen die Frakti­on verlassen. Wir anerkennen als Vertreter der AfD im Landtag von Baden-Württemberg ab sofort nur Jörg Meuthen und die Abgeordneten, die sich ihm anschließen.

Am Nachmittag nach der Abstimmung traf unerwartet Bundessprecherin Dr. Frauke Petry in Stuttgart ein. Nachdem der Druck auf Dr. Gedeon durch den Austritt der 13 Abgeordneten bereits extrem zugenommen hatte, gelang es im weiteren Verlauf des Abends, dass Dr. Gedeon sich „aus freien Stücken“ zum Austritt aus der Fraktion entschloss, ohne sich von sei­nen Aussagen zu distanzieren. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dieser Schritt von den in der Fraktion verbliebenen Abgeordneten begrüßt wurde; von jenen also, die noch wenige Stunden zuvor gegen seinen Ausschluss votiert hatten.

Der Austritt Gedeons war für uns kein Signal für eine Rückkehr in diese Fraktion. Diese war und ist noch immer geprägt von einigen Abgeordneten, welche nicht bereit sind, sich inhaltlich klar gegen Antise­mitismus abzugrenzen.

Inzwischen werden bereits Forderungen laut, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zulassen. Es ist nicht das erste Mal, dass dies in der Öffentlichkeit gefordert wird. Allerdings ist es das erste Mal, dass es mit konkreten Belegen geschieht. Noch richtet sich die Kritik nicht auf die gesamte Partei, sondern auf einzelne Abgeordnete, nämlich nicht zuletzt diejenigen, die gegen den Ausschluss Dr. Gedeons gestimmt hatten. Auch deshalb ist für uns eine Rückkehr in die bisherige Fraktion ausgeschlossen.

Wir haben unmittelbar nach unserem Austritt aus der Fraktion am 6. Juli eine eigene Fraktion im Landtag gegründet, da wir uns – sehr zu unserem eigenen Bedauern – mit den verbliebenen Abgeordneten der „alten“ Fraktion in einer existentiellen Frage im politischen Dissens befinden. Die Landtagsverwaltung prüft derzeit die Rechtmäßigkeit einer zweiten AfD-Fraktion, wir sind diesbezüglich zuversichtlich. Da es vom Namen her keine zwei „AfD-Fraktionen“ im Landtag geben darf, mussten wir uns vorübergehend für einen anderen Namen entscheiden, die „Fraktion Alternative für Baden-Württemberg“.

Wir stellen abschließend fest:

Wir sind weiterhin unverändert Mitglieder und Abgeordnete der AfD im Landtag

Wir stehen unverändert zu den Zielen der AfD und werden diese nach Kräften verfolgen.

Wir haben keine neue Partei gegründet und haben dies auch nicht vor.

Unser Ziel ist nicht und war nie die Spaltung der AfD. In voller Übereinstimmung mit dem Parteiprogramm ist es unser Ziel, die Partei unmissverständlich gegen jede Form von Antisemitismus abzugrenzen.

Stuttgart, den 12.07.2016
Dr. Rainer Balzer MdL, Anton Baron MdL, Lars Patrick Berg MdL, Dr. Heinrich Fiechtner MdL, Stefan Herre MdL, Dr. Heinrich Kuhn MdL, Claudia Martin MdL, Prof. Dr. Jörg Meuthen MdL, Thomas Axel Palka MdL, Dr. Rainer Podeswa MdL, Daniel Rottmann MdL, Udo Stein MdL, Klaus-Günther Voigtmann MdL, Carola Wolle MdL"
 
 
 
ceterum censeo 
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand vom 12.08.2016

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